Neue Kleist-Ausgabe: Rolls-Royce in Buchform

Zum 200. Todesjahr: Eine Matinee im Berliner Ensemble würdigt die mühsame Arbeit an der ersten historisch-kritischen Ausgabe sämtlicher Werke Heinrich von Kleists.

"Die Wahrheit ist, daß mir auf Erden nicht zu helfen war": Heinrich von Kleist im Abschiedsbrief an seine Schwester. Er erschoss sich und seine Freundin Henriette Vogel am Kleinen Wannsee. Bild: dapd

Zunächst stutzte man beim ersten Satz der Einladung des Stroemfeld Verlags: "Am 21. November 1811 machte der 34-jährige Heinrich von Kleist seinem aus den Fugen geratenen Leben ein vorzeitiges Ende" - als ob es das Wichtigste wäre an Kleist, dass er sich zusammen mit Henriette Vogel am Kleinen Wannsee das Leben nahm. Andererseits hat sein Selbstmord (im ungefähr gleichen Lebensjahr, in dem Jim Morrison, Jesus, Che Guevara usw. starben) sicher zur Popularität des berühmten Dichters beigetragen, dessen Grab pünktlich zum Todestagsjubiläum auch schöner ausgestaltet werden soll. Unter dem Titel "Kleist ganz groß" jedenfalls wurde die Fertigstellung der "Brandenburger Kleist-Ausgabe" am Sonntagvormittag im Berliner Ensemble gefeiert.

Verdienstvoll und schön

Die "Brandenburger Kleist-Ausgabe" ist die erste historisch-kritische Ausgabe sämtlicher Werke Heinrich von Kleists. 1996 hatten die Verleger und Herausgeber, auf Einladung Heiner Müllers noch am gleichen Ort die ersten zwei Bände ihres verdienstvollen Unternehmens vorgestellt. Nun standen ebenda auf der Bühne im Scheinwerferlicht die blauen und roten Bände der schönen Ausgabe. Dahinter war riesengroß der Abschiedsbrief projiziert, den Kleist an seine Schwester Ulrike geschrieben hatte, mit den berühmten Worten: "Die Wahrheit ist, daß mir auf Erden nicht zu helfen war. Und nun lebe wohl; möge Dir der Himmel einen Tod schenken, nur halb an Freude und unaussprechlicher Heiterkeit dem meinigen gleich." Der Saal war proppenvoll.

Gut gelaunt erzählte KD Wolff, der Verleger, aus der Editionsgeschichte. Oft hätten sie untereinander darüber gescherzt, dass die Ausgabe dasselbe Kürzel hat wie das Bundeskriminalamt. "Und zu welcher Von-Kleist-Clique gehören Sie?", seien sie oft gefragt worden, als sie - es war noch vor der "Wende" - um Unterstützung gebeten hatten. Die hatte es zunächst nicht gegeben, da die Lottogesellschaft keine Buchprojekte mehr, sondern nur noch die Olympiabewerbung Berlins unterstützen wollte. Ab und an verteilte KD Wolff Seitenhiebe in Richtung Kleist-Gesellschaft, der es trotz Zuwendungen nie gelungen sei, irgendetwas zu publizieren. Die Herausgeber Roland Reuß und Peter Staengle erzählten aus der Entstehungsgeschichte der historisch-kritischen Gesamtausgabe. Das war ja alles auch nicht so einfach - man musste ja da- und dorthin fahren, nach Krakau und Tschechien, um die Originale zu sichten.

Roland Reuß hielt eine so kämpferische wie unterhaltsame Rede mit vielen hasserfüllten Invektiven gegen die Deutsche Forschungsgesellschaft und gegen das deutsche Hochschulwesen. Einmal seien sie auch von einem ehemaligen Brandenburger SPD-Minister aus Schwaben zum weihnachtlichen Plätzchenbacken eingeladen worden und der Minister habe zu seiner Frau gesagt: "Guck mal, das sind die Leute, die die Kleist-Bücherle machen", erzählte der Herausgeber auch nach all den Jahren noch voll Verachtung.

Zwischendurch lasen Ulrich Matthes, Hermann Beil und der bekannte "Tatort"-Kommissar Martin Wuttke klassische Kleist-Texte, deren Schönheit im professionellen Vortrag noch besser zur Geltung kam. Unter anderem "Das Bettelweib von Locarno", die berühmte Abhandlung "Über das Marionettentheater" und ein lustiges Feuilleton über "die elektrische Donnerwetterpost", in dem Kleist von mit Päckchen und Briefen gefüllten Bomben träumt, die hin- und hergeschossen werden. Oft musste man über die spaßhafte Art manchen Vortrags herzlich lachen.

Einige trauten sich, die Bände zu berühren

Es war eine sehr schöne Matinee. Eine historisch-kritische Gesamtausgabe ist ja der Rolls-Royce unter den Gesamtausgaben, wie jeder weiß. Unter lange anhaltendem Applaus verabschiedeten sich Verleger und Vortragende von der Bühne. Danach trauten sich einige, die Bände auf der Bühne vorsichtig zu berühren, oder ließen sich davor fotografieren. Verglichen mit den herrschenden Zigarettenpreisen, sind die einzelnen Bände eigentlich auch nicht soo teuer. Die hellblauen Bände mit den Schriften und Vorlesungen des Religionswissenschaftlers Klaus Heinrich sehen aber noch viel besser aus.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.