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Neue Kaufhäuser allein schaffen nur wenige Arbeitsplätze

Marktzwänge haben das Plandiktat in Städten wie Gotha abgelöst/ Kommunale Wirtschaftspolitik kämpft in Ostdeutschland mit Schwierigkeiten/ Das Gothaer Wirtschaftsförderungsamt beklagt die mangelnde Zusammenarbeit mit der Treuhand/ Das Problem sind nicht die alten Seilschaften  ■ Aus Gotha Stefan Jauer

„Eine planvolle Gewerbepolitik ist derzeit kaum möglich.“ Diese Eingeständnis des Leiters des Gothaer Wirtschaftsförderungsamtes, Peter Kögler, der seit drei Monaten mit dieser für ihn zuvor unbekannten Materie beschäftigt, zeigt die Hilflosigkeit ostdeutscher Kommunen beim Aufbau der Marktwirtschaft.

Dabei präsentiert sich Gotha, Kreisstadt im Vorland des Thüringer Waldes mit 56.000 EinwohnerInnen, auf den ersten Blick nicht als Notstandsgebiet. Doch obwohl Gothas Wirtschaft nicht von einem Großbetrieb abhängig ist, liegen die Probleme auch hier in der Wirtschaftsstruktur, denn Hauptarbeitgeber sind fünf Betriebe der metallverarbeitenden Industrie; vornehmlich aus der Fahrzeugzulieferindustrie, mit derzeit ungefähr 4.300 Beschäftigten.

Am 30.Juni 1991 endet der Kündigungsstopp in der metallverarbeitenden Industrie. „Erst dann“, so Peter Kögler, „werden wir sehen, welche Bedeutung dieser Zweig in Zukunft für Gotha haben wird.“

Erschwert wird die kommunale Wirtschaftspolitik in den östlichen Bundesländern außerdem durch die fehlende Informationsbasis: Wichtige statistische Größen sind zu DDR-Zeiten für Gemeinden wie Gotha nur auf Kreisebene erhoben und nicht nach Kommunen aufgeschlüsselt worden.

Für die zweite Hauptbranche Gothas, die Lebensmittelindustrie, scheinen die Aussichten besser zu sein. Insgesamt wird in der thüringischen Stadt damit gerechnet, daß 30 bis 40 Prozent der Industriebetriebe gehalten werden können.Die Probleme kommunaler Wirtschaftspolitik sind in den Ostländern oft andere, als westliche ExpertInnen glauben. „Es sind nicht die oft angeführten alten Seilschaften in den Verwaltungen schuld an der Verzögerung der Investitionstätigkeit auswärtiger Unternehmen“, sagt Peter Kögler. „Unsere Probleme sind vielmehr das bundesdeutsche Baurecht, das die gewünscht schnellen Investitionen von ansiedlungswilligen Unternehmen nicht ermöglicht, und die personelle Unterbesetzung der Dezernate.“ Wegen des Personalmangels werden Verwaltungsaufgaben dann teilweise an Unternehmen delegiert. So wird in Gotha ein Gewerbegebiet von einem westdeutschen Unternehmen erschlossen und vergeben, was wegen des Gewinninteresses dieser Firma zu höheren Grundstückspreisen führen wird.

Die personelle Unterbesetzung des Wirtschaftsförderungsamts birgt außerdem die Gefahr einer Konzentration auf die Bearbeitung der Anträge von Großunternehmen, die versprechen, auf einen Schlag ganz viele Arbeitsplätze zu schaffen.

Gothas Wirtschaftsförderer haben sich trotz dieser Probleme vorgenommen, behutsam bei der Ausweisung von Gewerbegebieten vorzugehen. Vorrangig sollen vorhandene Gewerbeflächen verbessert werden, anstatt die sprichwörtlichen grünen Wiesen am Stadtrand neu zu erschließen. So soll der Zersiedelung der Landschaft und dem Anwachsen des Verkehrs vorgebeugt werden. „Diese Zurückhaltung ist nicht in allen Städten unserer Größenordnung anzutreffen“, sagt Peter Kögler. Allerdings bereiten bei der Verplanung der innerstädtischen Gewerbeflächen die ungeklärten Eigentumsverhältnisse große Probleme.

Wie in den Altbundesländern ist jetzt auch in Ostdeutschland die Konkurrenz benachbarter Gemeinden in der Wirtschaftspolitik ein Problem. So haben die Randgemeinden riesige Gewerbegebiete an den Einfallstraßen zu Gotha geplant, die in keinem Verhältnis zu ihren Gemeindegrößen und zum Ansiedlungswillen westlicher Unternehmen stehen. Allerdings bemüht man sich inzwischen, die Standortkonkurrenz abzumildern.

Die Neuansiedlung auswärtiger Unternehmen wird in Gotha durchaus mit gemischten Gefühlen betrieben. So bereitet die rege Nachfrage von Handelsunternehmen nach Grundstücken dem Wirtschaftsförderungsamt inzwischen Kopfzerbrechen. Kögler und seine MitarbeiterInnen versuchen jetzt, nicht mehr alle InteressentInnen beim Grundstückskauf zum Zuge kommen zu lassen.

Wichtiger nämlich wären für die Kommunen Ostdeutschlands Unternehmen aus dem produzierenden Gewerbe. Diese könnten durch Wirtschaftsbeziehungen zu ortsansässigen Firmen und Lieferungen an ortsfremde Abnehmer zusätzliche Arbeitsplätze schaffen. Peter Kögler: „Hier können wir uns eine Selektion ansiedlungswilliger Unternehmen nach strukturpolitischen Gesichtspunkten leider kaum erlauben, denn die Nachfrage ist gering.“ Meistens richten Unternehmen des produzierenden Gewerbes nur unverbindliche Anfragen an das Gothaer Wirtschaftsförderungsamt, die dann wegen der langen Bearbeitungszeit keine Konsequenzen nach sich ziehen. Lediglich die bestehende Fahrzeugzulieferindustrie hat ein stärkeres Engagement auswärtiger Zulieferunternehmen nach sich gezogen — eine Entwicklung, deren Problematik Kögler durchaus sieht: „So verfestigen wir unsere einseitige Wirtschaftsstruktur.“

Schwierigkeiten bereitet dem Gothaer Wirtschaftsförderungsamt auch die Arbeit der Treuhandanstalt. Durch den Verkauf der Betriebe oder die Entscheidung über deren Überlebensfähigkeit greift sie direkt in die Wirtschaftsstruktur ein, ohne sich mit dem städtischen Wirtschaftsförderungsamt abzusprechen. So fühlen sich die Gothaer BürgerInnen zunehmend als ZuschauerInnen bei der Veränderung der Lebensgrundlagen in ihrer Stadt.

Ob die Ausdehnung der für westdeutsche Verhältnisse konzipierten Fördertöpfe auf das Gebiet der Ex- DDR die Arbeit der regionalen Wirtschaftsförderer erleichtern wird, ist ebenfalls fraglich. Denn das öffentliche Fördergeld ist an konkrete Ansiedlungsvorhaben von Unternehmen aus dem produzierenden Gewerbe geknüpft — eben solcher Unternehmen, die derzeit wenig Interesse an Investitionen in den fünf neuen Ländern zeigen.

Auch die förderpolitische Konzentration auf den Mittelstand ist aus kommunaler Sicht bedenklich; denn der Erhalt von mit Anpasssungshilfen überlebensfähigen Großbetrieben ist für die Kommunen mindestens ebenso wichtig wie ein in ferner Zukunft möglicherweise aufblühender Mittelstand.

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