Neue Industrie auf der Hochseeinsel: Wind ist Helgolands Hoffnung
Die einzige Hochseeinsel Deutschlands setzt auf den Ausbau von Windparks auf dem Meer. Unternehmer bewerben sie als Standort für Wartungsschiffe.
HELGOLAND taz | Mit dem Arm beschreibt Peter Singer einen Halbkreis. Es gibt nichts zu sehen als Wasser und blauen Himmel: "Diesen Standortvorteil müssen wir nutzen", sagt Singer. Er ist Geschäftsführer der Hafengesellschaft von Helgoland und sein Ziel ist, Deutschlands einzige Hochseeinsel zum Wartungszentrum für Windparks in der Nordsee zu machen. "Das ist die Zukunftschance", sagt Singer.
Für rund 25 Millionen Euro plant er die Sanierung des Vorhafens im Süden der roten Felseninsel, der seit dem Abzug der Marine brachliegt. 30.000 Quadratmeter Hafenbecken, Kaianlagen und Landflächen will Singer bis Sommer 2012 an die Investoren RWE, Eon und Wind-MW übergeben. Die wollen drei große Windparks westlich und nordöstlich von Helgoland ins Meer stellen. Jeweils 80 Anlagen sollen die bereits vom Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) in Hamburg genehmigten Projekte umfassen, noch einmal die gleiche Anzahl wäre möglich. Denn alle Windräder liegen, so das BSH, "außerhalb von Schutzgebieten in verkehrsarmen Bereichen" der Nordsee.
Projekte wie Helgoland stehen deshalb im Fokus der Nationalen Maritimen Konferenz, die am Freitag und Sonnabend in Wilhelmshaven stattfindet. Aufgabe der alle zwei Jahre stattfindenden Konferenz ist es, die maritime Wirtschaft in Deutschland zu stärken. Federführend ist das Bundeswirtschaftsministerium, dem dafür ein spezieller Koordinator im Rang eines Staatssekretärs zugebilligt wurde.
Windparks auf See und Meerestechnik bilden die Schwerpunktthemen der diesjährigen Konferenz, zu der mehr als 1.000 Vertreter von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft erwartet werden. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sowie Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) und Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) werden auf der siebten Konferenz seit 2000 das Loblied auf die erneuerbaren Energien anstimmen und von der Energiezukunft auf dem Meer schwärmen.
Darauf baut Peter Singer. Von Helgoland aus wären die Windräder mit Wartungsschiffen rasch zu erreichen. Etwa 62 Kilometer nordwestlich der Elbmündung liegt die Insel in der Nordsee und damit mindestens drei Fahrstunden näher an den künftigen Einsatzorten als die Häfen an der schleswig-holsteinischen oder niedersächsischen Nordseeküste. "Wir sitzen hier mittendrin", sagt Singer. "Kurze Wege sind bares Geld."
Keine Angst vor den Arbeitern
So sehen das auch die Windparkbetreiber. 100 bis 120 neue Arbeitsplätze verheißen sie - und das bedeutet für die eineinhalb Quadratkilometer kleine Insel mit ihren rund 1.500 BewohnerInnen neue Herausforderungen. Denn die Vorstellung, 100 Männer auf Montage in Wohnheimen am Hafen unterzubringen, löst nicht nur positive Assoziationen aus. Die Debatte über mögliche soziale Auswirkungen wird indes eher dezent geführt.
Mit den Marinesoldaten früher habe es auch keine Probleme gegeben, sagt Sabine Roberts, Helgoland-Beauftragte des schleswig-holsteinischen Kreises Pinneberg, zu dem das Eiland gehört. Und, nein, ein Bordell sei auch nicht geplant. Die Hoffnung ist eher, dass einige der Angestellten sich mit Kind und Kegel auf der Insel ansiedeln. Das wäre gut für die Kaufkraft, für den Fortbestand der Inselschule und das Vereinsleben. Derzeit bastelt die Gemeinde deshalb an einem Bebauungsplan für ein neues Wohngebiet. Zwei- bis dreigeschossige Häuser, wie sie auf Helgoland typisch sind, könnten beim Leuchtturm am Dorfrand entstehen, etwa 80 Wohnungen seien möglich.
Bevor Helgoland aber zur Insel der Energiewende ausgebaut werden kann, liegt noch viel Planungsarbeit vor Peter Singer. Verschüttete britische Fliegerbomben, die den Inselfelsen nach dem Zweiten Weltkrieg sprengen sollten, müssen gesucht werden, etwaige Altlasten der deutschen Marine ebenfalls. Zwei Naturschutzgutachten über mögliche Auswirkungen auf Meerestiere und Seevögel sind in Arbeit.
Große Probleme erwartet Singer nicht. Die Vogelfelsen im Westen und Norden der Insel sind ein Stück weit entfernt, zudem ist das Areal seit Kaisers Zeiten ein Hafen. Wenn alles optimal verläuft, kann die Gemeinde im Herbst den Bebauungsplan erlassen: "Und dann", sagt Peter Singer, "legen wir endlich los."
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