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Neue Graphic Novel von Marion FayolleBeim Tanz der fliegenden Körperteile

Die französische Bildgeschichte „Die schwebenden Liebenden“ nimmt sich in oft surrealer Weise der ewigen Geschichte zwischen Mann und Frau an.

Tanzszene aus der Graphic Novel „Die schwebenden Liebenden“ von Marion Fayolle Foto: Avant Verlag

Schon auf Seite eins geht es los mit dem Tanz. Ein junges Ehepaar tanzt vor einer weiten Landschaft, was durch die Präzision der Zeichnungen an Schrittfolgen für Tanzanfänger erinnert. Da taucht eine weitere Frau auf, worauf sich nach einigem Hin und Her zwischen den beiden Frauen der Unterkörper des Mannes selbstständig macht und auf die zweite zubewegt. Doch die Ehefrau fängt den abtrünnigen Körperteil wieder ein und rückt ihn an den rechten Platz, damit der Tanz weitergehen kann. Es wird klar: dieser Mann liebt seine Frau, begehrt aber auch viele andere…

In der Graphic Novel „Die schwebenden Liebenden“ der Französin Marion Fayolle beginnen die Figuren immer wieder unvermittelt zu tanzen und zu singen, wobei die Songtexte stets die Handlung kommentieren. Man fühlt sich erinnert an die Filme von Jacques Demy aus den Sechzigern („Die Regenschirme von Cherbourg“), in denen – als Hommage an ältere US-Musicals – ebenso selbstverständlich mitten im Geschehen gesungen und getanzt wurde.

Doch Fayolles Buch ist hermetischer als Demys die gesellschaftliche Realität widerspiegelnde Filme. Bei ihr gibt es keine äußere Handlung außer dem Beziehungs- und Gefühlsgeflecht, das sie auf heitere Weise anstimmt und in sechs Kapiteln – oder besser: Akten – auffächert. Ein Mann und eine Frau – auf Namen wird komplett verzichtet – sind glücklich verheiratet, jedoch scheint die bereits eingesetzte Routine die Beziehung zu belasten.

Sehnsucht nach anderen Frauen

Die Graphic Novel

Marion Fayolle: „Die schwebenden Liebenden“. Aus dem Französischen von Anja Biemann. Avant Verlag, Berlin 2018, 256 Seiten, 35 Euro

Nach der ersten Szene geht das Paar schlafen, und nun beginnt die eigentliche Geschichte, indem ganz die Perspektive des Mannes eingenommen wird, der von seiner Sehnsucht nach anderen Frauen spricht und jener Zeit des ersten Verliebtseins, die er als besonders beglückend empfindet. Der Mann sucht nun Kontakt zu drei Frauen unterschiedlichen Typs – verkürzt gesagt: ein weiblicher Don Juan, eine Intellektuelle und eine schwache, hilfsbedürftige – und flirtet mit ihnen, ohne es mit der Nähe allzu weit zu treiben.

Trotzdem kommt es zu Komplikationen. Am Ende treten alle drei Frauen in einem Theaterstück auf, das der Protagonist für sie geschrieben hat.

Die 30-jährige Illustratorin Marion Fayolle treibt ein raffiniertes, frivoles Spiel mit ihren Figuren, das die LeserInnen sofort gefangen nimmt und subtil dahin führt, ihre eigene Position zu den aufgeworfenen Fragen zu überprüfen. Als Hauptfigur hat sie zwar einen Mann gewählt – zugleich ein Schriftsteller und Tagebuchschreiber –, jedoch verurteilt sie sein Schürzenjäger-Verhalten nicht, lässt die Figuren selbst sprechen.

Visualisierte Gefühle – theatralische Sprache

Fayolle zeichnet ihre Charaktere bewusst auf nahezu entindividualisierte Weise: Alle haben annähernd die gleiche, schlanke Figur und schematische, fast ausdruckslose Gesichter – man kann sie nur durch Frisur, Haarfarbe oder Kleidung voneinander unterscheiden. So entsteht der Eindruck eines Schauspiels, einer Versuchsaufstellung, bei der die Geschlechter miteinander ringen und ihre Gefühle direkt visualisiert werden. Die Sprache ist theatralisch, klingt – bei stets mitschwingender Ironie – literarisch hochgestochen, auch weil sich die Figuren siezen und in poetischen Bildern sprechen.

Der flächige Zeichenstil unterstreicht den theatralischen Eindruck: Figuren bewegen sich meist vor einfarbigen, schraffierten Flächen, gelegentlich wird eine reduzierte Kulisse – Wald, See oder Zimmer – angedeutet. Man glaubt, in ein Papiertheaterstück geraten zu sein, wie es im 19. Jahrhundert beliebt war, das jedoch in stark abstrahierter Optik daherkommt.

Auf jeder Seite lauern verblüffende, surreale Einfälle, die oft Wortspiele und Redensarten visualisieren: Während sich etwa der Protagonist mit seiner Frau unterhält, spaltet sich ein Ich von ihm ab und geht auf eine zweite Frau zu, ein weiteres Ich auf eine dritte, bis die ganze Seite von Doppelgängern wimmelt. Figuren verblassen, wenn man sich von ihnen abwendet, verlieren ihre Köpfe oder fallen ganz in sich zusammen, müssen dann vom Mit-Spieler „liebevoll“ zusammengesetzt werden.

Oder es tauchen aus dem Nichts zwei Musiker auf, die zwei gerade im Wortgefecht befindliche Personen zusammenstauchen, zu Akkordeons umfunktionieren und sie wieder auseinanderziehen, um ein Lied anzustimmen.

Erotische Fantasien – neurotische Verhaltensweisen

Dieses Gedankenspiel über Paarbeziehungen, erotische Fantasien und neurotische Verhaltensweisen hat Marion Fayolle erfrischend originell und leichtfüßig in zarten Pastelltönen inszeniert. Ihre Bildsprache verzichtet auf elegante Weise auf eine herkömmliche Panel-­Gliederung und findet neue, fließende Seitenaufteilungen. Ihren Erzählstil hat sie bereits mehrfach erprobt, weniger Comics als illustrierte Bücher waren das, sie sind bislang nicht ins Deutsche übersetzt.

In „L’homme en ­pièces“ („Der Mann in Stücken“, 2011) hat sie schon einmal Mann-Frau-Beziehungen auf ähnliche Weise analysiert, und in „La trendresse des pierres“ („Die Zärtlichkeit der Steine“) 2012 das Sterben ihres Vaters auf poetische Weise verarbeitet. Mit dieser federleichten wie tiefsinnigen, auf dem letzten Comicfestival in Angoulême ausgezeichneten Graphic Novel setzt Marion Fayolle ihre grafisch innovative Erzählweise konsequent fort.

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