Neue Feindesliste des NSU aufgetaucht: Die Handschrift des Terrors
Ein im Schutt gefundenes Adressbuch des NSU gibt Rätsel auf. Das Terrortrio sammelte Namen von Personen, die mit dem NPD-Verbot zu tun hatten.
BERLIN taz | Ein kleines, in Teilen zerstörtes Adressbuch gibt den Ermittlern Rätsel auf. Sie haben es im Schutt des abgebrannten Hauses in der Zwickauer Frühlingsstraße 26 gefunden, als eines von rund 1.700 Beweismitteln aus der letzten Wohnung des Terrortrios vom "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU).
Zwei Dutzend Namen wurden samt Adressen von Hand in das Büchlein eingetragen; von wem, ist noch unklar, die Schriftanalysen laufen. Was die Sicherheitsbeamten aber schon jetzt aufmerken lässt: Die Namen stehen im Zusammenhang mit dem ersten, 2003 schließlich vor dem Verfassungsgericht gescheiterten NPD-Verbotsverfahren.
So finden sich unter den 24 Namen auch die der beiden Juristen, die Anfang 2001 für den Bundestag den Antrag auf ein Verbot der rechtsextremen Partei eingereicht hatten: Günter Frankenberg, Verfassungsrechtler aus Frankfurt, und Wolfgang Löwer, Verwaltungsrechtler aus Bonn. Außerdem stehen auf der Liste Sicherheitsbeamte, die zum Zeitpunkt der mutmaßlichen Erstellung des Adressbuchs im Jahr 2000 oder 2001 hochrangige Mitarbeiter von Verfassungsschutz und Polizei waren.
Merkwürdige Sammelwut oder ernste Absichten?
Warum das rechte Trio das Adressbuch anlegte, darüber kann man bisher nur spekulieren: Hatten die drei daran gedacht, die Racheengel für die NPD zu spielen, falls diese verboten werden würde? Oder ist die Adresssammlung nur ein weiteres Beispiel für die merkwürdige Datensammelwut der rechten Terroristen?
Denn wie gleich wenige Wochen nach dem Auffliegen der Terrorzelle im November des vergangenen Jahres bekannt wurde, hatten die Neonazis viele Namen möglicher Feinde gesammelt. So standen auf einer Liste des NSU, die die Ermittler auf einem Datenträger fanden, ganze 10.000 Adressen; die Informationen wurden laut Bundeskriminalamt aus einem digitalen Telefonbuch zusammenkopiert und stammen von 2005.
Seitdem haben Staatsschützer in den Bundesländern nach und nach alle Betroffenen informiert, die sich auf dieser und anderen "Feindeslisten" der Terroristen befanden. Darunter waren Politiker von Grünen bis CSU, Vertreter von türkischen und islamischen Vereinen, Multikultieinrichtungen, Flüchtlingsorganisationen.
Für die Auswahl ihrer neun türkisch- und griechischstämmigen Mordopfer zwischen 2000 und 2006 scheinen die NSU-Terroristen dann allerdings nicht auf diese Sammlungen zurückgegriffen zu haben; nur in einem Fall sei eines der Opfer auch in den Datenhalden der Neonazis aufgetaucht, heißt es in Sicherheitskreisen.
Verbindung zwischen NSU und NPD
Vielmehr scheinen die Rechtsextremen die Städte, in denen sie ihre Taten begingen, aufwendig ausgespäht zu haben - um dann ihre Opfer relativ kurzfristig und zufällig auszuwählen: Hauptsache, Ausländer, vorzugsweise ein "Ali", wie die Neonazis in einem Vorläufer zu ihrem späteren Bekennervideo ihre Opfer nennen.
Gleichwohl könnte das im Zwickauer Schutt gefundene Adressbuch ein weiterer Beleg für die Verbindungen zwischen Nationalsozialistischem Untergrund und der NPD sein. In einem internen Verfassungsschutzbericht werden mindestens fünf aktuelle oder ehemalige Kader der Partei und ihrer Jugendorganisation genannt, die nach dem Untertauchen des Trios direkt oder indirekt mit ihm in Kontakt gestanden haben sollen.
Die in dem Adressbuch des NSU Festgehaltenen nehmen die Angelegenheit unterdessen entspannt auf. Er sei schon während des NPD-Verbotsverfahrens im Internet von Neonazis an den Pranger gestellt worden, sagte der Frankfurter Rechtsprofessor Frankenberg. "Ich habe das mit großer Gelassenheit zur Kenntnis genommen", sagte sein Bonner Kollege Löwer.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“