■ Neue Fakten zur Verantwortlichkeit der SPD für den Mord an Rosa und Karl: „Und die Schande der SPD?“
In seiner Biographie Rosa Luxemburgs schrieb der revolutionäre Sozialist Paul Frölich 1939: „Der Sieg der Konterrevolution im Januar 1919 hat den Sieg Hitlers im Januar 1933 nach sich gezogen.“ In der Tat: Vom Mord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht führt über die „Hinrichtungen“ demokratischer Politiker durch Freikorps-Mitglieder in den 20er Jahren die Blutspur zum nazistischen Massenmord. All diesen Verbrechen ist gemeinsam, daß ihre Täter und Hintermänner von einer sympathisierenden Justiz nicht verfolgt worden sind oder mit geringen Strafen davonkamen. Abstumpfung gegenüber der terroristischen Gewalt von Rechts war die Folge.
Inwieweit waren Politiker der Mehrheits-SPD für den Mord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht verantwortlich? Für die Kommunisten der Weimarer Republik war das keine Frage – hatte doch im Vorfeld des Januar-Aufstands 1919 Eberts Partei sich kräftig an der Totschlagskampagne gegen die beiden Revolutionäre beteiligt. Vom „schändlichen Treiben Liebknechts und Luxemburgs“ war in einem Flugblatt im Dezember die Rede. Und davon, daß „die Massen nicht ruhig zusehen dürfen, wie diese Gewalttäter und ihr Anhang die Tätigkeit der republikanischen Behörden gefährden“. Dem von der Mehrheits- SPD aufgestellten Reichstags- Wachregiment war ein „Helferdienst/Sektion 14“ beigeordnet, dem, wie ein Gericht in den 20er Jahren feststellte, mit Wissen des SPD-Führers Scheidemann ein Kopfgeld für die „Liquidierung“ Rosas und Karls ausgesetzt war. In den Tagen des Januar-Aufstands schließlich wurden in einem Gedicht, das der sozialdemokratische Vorwärts veröffentlichte, Rosa und Karl als feige Drahtzieher verleumdet: „Vielhundert Tote in einer Reih – Proletarier! Karl, Radek, Rosa und Kumpanei – es ist keiner dabei, es ist keiner dabei! Proletartier!“ Über den SPD-Führer Noske, Befehlshaber der konterrevolutionären Truppen, kam Peter Nettl in seiner Luxemburg- Biographie 1962 zu folgendem Urteil: „Bestimmt erteilte die Regierung keinen ausdrücklichen Befehl, einen der Spartakus-Führer zu ermorden. Noske tat aber auch nichts, seine blutrünstigen Helfer zu zügeln. Die Freikorpsmitglieder waren überzeugt, daß sie in den etwaigen Prozessen mit Noskes Beistand rechnen konnten.“ Diese Einschätzung ist von Klaus Gietinger, einem um die Aufklärung der Morde verdienten Journalisten, weiter fundiert worden. Im Heft 4/92 der IWK (Internationale wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung) publizierte Gietinger einen Brief, den ihm der hochbetagte Anwalt Otto Kranzbühler schrieb. Kranzbühler war Anwalt jenes Herrmann Souchon gewesen, der Rosa Luxemburg ermordete, aber noch in den 60er Jahren gerichtlich von aller Schuld freigesprochen wurde. In dem Brief ging es um die Rolle des Organisators des Mordkomplotts, des Kapitänleutnants Waldemar Pabst: „Pabst hat mir versichert, daß er vor seiner Entscheidung [Rosa und Karl zu ermorden, d. Red.] Noske angerufen habe. Dieser habe ihn zunächst aufgefordert, die Genehmigung des Generals von Lüttwitz zur Erschießung der beiden Gefangenen einzuholen und nach der Einwendung Pabsts, die werde er nie bekommen, mit den Worten reagiert, ,dann müsse er selbst verantworten, was zu tun sei‘.“ Pabst selbst schreibt in seinen „Memoiren“: „Daß sie [die Ermordung] durchgeführt werden mußte, darüber bestand bei Herrn Noske und mir nicht der geringste Zweifel ... Als ich sagte, Herr Noske, geben sie bitte Befehl über das „Wie“ meinte Noske, „das ist nicht meine Sache. Dann würde die Partei zerbrechen, denn für solche Maßnahmen ist sie nicht und unter keinen Umständen zu haben. Das soll der General tun, es sind seine Gefangenen.“
Angesichts der Forschung Gietingers täten die Fachhistoriker, die Sozialdemokraten zumal, gut daran, ihre Abstinenz in der Frage: „Wer trägt die Verantwortung für den Mord an Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg?“ zu überwinden. Christian Semler
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen