Neue Erkenntnisse im Waterkant-Gate?: „Barschel ist völlig unschuldig“
Gert Postel, einst weltbekannter Ärzte-Imitator und in die Barschel-Affäre verwickelt, beteuert die Unschuld des früheren schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten.
taz: Herr Postel, kann der Tod von Reiner Pfeiffer, dem Hauptakteur der Barschel-Affäre, dazu beitragen, Licht in einen der größten Polit-Skandale der Bundesrepublik zu bringen: das „Waterkant-Gate“?
Gert Postel: Ja. Denn nun kann ich frei reden.
Und was ist Ihre Botschaft?
Barschel ist unschuldig. Er wusste nichts von Pfeiffers Machenschaften im schleswig-holsteinischen Wahlkampf 1987 gegen Barschels Herausforderer Engholm.
Der SPD-Kandidat Björn Engholm wurde von Privatdetektiven ausspioniert, es gab anonyme Steueranzeigen und eine angebliche HIV-Infektion. Und es gibt die Vermutung, dass Sie selbst einige der anonymen Telefonanrufe getätigt haben, mit denen Engholm denunziert wurde.
Das stimmt aber nicht. Wobei ich zugeben muss, dass ich das Gerücht seinerzeit selbst ein wenig am Köcheln gehalten habe.
Gert Postel, 57, arbeitete mit gefälschten Zeugnissen als Amtsarzt in Flensburg sowie als leitender Oberarzt in einer sächsischen Psychiatrie. Der Untersuchungs-Ausschuss des Kieler Landtags vernahm ihn 1995 als Zeugen in der Barschel/Engholm-Affäre
Warum?
Weil damit Geld zu verdienen war. Die Magazine standen ja Schlange, um an Informationen heranzukommen.
Und jetzt sagen Sie: Barschel und Postel sind unschuldig, der Pfeiffer war es allein?
Barschel ist völlig unschuldig, aber er hat einen entscheidenden Fehler gemacht: Er hat Mitarbeiter zu falschen eidesstattlichen Aussagen gedrängt, um sich zu verteidigen.
Aber sein berühmtes eigenes Ehrenwort samt eidesstattlicher Erklärung über seine Unschuld waren korrekt?
Am 11. Oktober 1987 wurde Uwe Barschel (CDU) von Reportern des Stern tot in der Badewanne seines Genfer Hotelzimmers gefunden. Neun Tage vorher war er als Ministerpräsident von Schleswig-Holstein zurückgetreten, nachdem der Spiegel über Tricks der Staatskanzlei im Wahlkampf gegen Björn Engholm (SPD) berichtete. Sein „Ehrenwort“, er habe davon nichts gewusst, nützte nichts. Politisch war er erledigt.
Die Todesumstände Barschels sind nicht geklärt. Der seinerzeit mit den Ermittlungen beauftragte Lübecker Oberstaatsanwalt Heinrich Wille ist von Mord überzeugt, wurde aber vom Generalstaatsanwalt ausgebremst.
Im Mittelpunkt der Affäre stand Journalist, Grabredner und Eisverkäufer Reiner Pfeiffer. Nach Station beim Weser-Report wurde er vom Springer-Verlag an die schleswig-holsteinische CDU vermittelt, die ihn im Büro des Ministerpräsidenten als Medienreferenten einsetzte.
Pfeiffer starb am 12. August in einem Pflegeheim in Hambergen. Zuletzt hatte er als Kreditvermittler gearbeitet. Nach dem Auffliegen seiner Anti-Engholm-Aktionen (siehe Interview) bezog er vom Spiegel bis Ende 1988 einen monatlichen „Verdienstausfall“ von 5.700 Mark. Dieses Geld investierte er größtenteils in ein Sonnenstudio, das jedoch Insolvenz anmelden musste.
Ja. Bloß hat ihm das dann niemand mehr glauben wollen.
Apropos: Wie ist die Glaubwürdigkeit eines Zeitgenossen einzuschätzen, der als Hochstapler bekannt wurde?
Ich sage immer: Auch ein Heiratsschwindler kann sich verlieben.
Und wie soll eine Braut wissen, dass die Gefühle diesmal echt sind?
Also im Ernst: Es ist doch völlig unzulässig und auch langweilig, eine Persönlichkeit auf einen Begriff wie „Hochstapler“ zu reduzieren, ich habe das längst hinter mir gelassen. Ich habe lediglich in meiner Rolle als Arzt gelogen. Und das musste ich, um die Psychiatrie zu enttarnen.
Und jetzt haben Sie uns über die historische Wahrheit aufgeklärt?
So weit sie mir bekannt ist.
Bleibt die Frage, wer Barschel in der Genfer Badewanne ermordet hat, falls es kein Selbstmord war.
Das weiß ich auch nicht. Allerdings bin ich davon überzeugt, dass er sich nicht selbst umgebracht hat. Kein Mensch auf Tavor bringt sich um – und auch niemand, der zuvor noch Spielzeug für seine Kinder kauft.
Warum haben Sie Pfeiffers Tod abgewartet, um ihn zu belasten, beziehungsweise Barschel zu entlasten?
Weil ich Pfeiffer das versprochen habe. Pfeiffer war ein widerwärtiger Charakter, der mir aber immer wohlgesonnen war. Ich habe ihn vor einer Weile angerufen und ihn mit meiner Überzeugung konfrontiert, dass er selbst der Urheber der Aktionen gegen Engholm war. Da hat er auf die für ihn typische dreckige Art gelacht und zugegeben, dass er mir nichts vormachen kann. Aber ich sollte bis zu seinem Tod warten, bevor ich darüber spreche. „Danach kannst du damit Geld verdienen“, hat er gesagt.
Dafür ist die taz aber keine gute Adresse ...
Geld interessiert mich auch nicht mehr.
Sie kannten Pfeiffer schon aus gemeinsamen Bremer Tagen.
Ja. Das Entscheidende ist jedoch, dass Pfeiffer von meinem Auftritt in Flensburg als vermeintlicher Amtsarzt Dr. Dr. Bartholdy völlig euphorisiert war, ich wurde dadurch für ihn zum Vorbild.
Sie meinen, es führt ein direkter Weg von Dr. Dr. Bartholdy zu Dr. Dr. Barschel?
Pfeiffer war völlig angefixt von meiner Geschichte und hat daraus gefolgert: Das mach‘ ich auch, und zwar im ganz großen Stil.
Pfeiffer hat schon zuvor, als Chefredakteur des Bremer CDU-Blattes Weser-Report, Dokumente gefälscht, um vermeintliche Betrugsfälle zu „enttarnen“.
Solche Vorgehensweisen entsprachen seinem Naturell. Das ist die Handschrift, die sich im Fall Engholm/ Barschel zeigt.
Aber wenn es Barschel nicht war: Wer hat Pfeiffer dann beauftragt, seine Methoden gegen Engholm einzusetzen?
Niemand, das ist es ja! Es gibt keinen Auftraggeber. Es sei denn, man sagt: Seine eigene kranke Seele hat ihn beauftragt, seine Geltungssucht, seine narzisstische Persönlichkeitsstörung. Das ist die innere Wahrheit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“