Neue Dokus im Fernsehen: Fakten statt Fiction
Das Genre Dokumentation ist bei Sendern derzeit gefragt wie nie. Bald starten zwei Kanäle, die sich darauf spezialisiert haben.
Wenn Robert Bachem sagen soll, was sein Sender bietet, dann fallen drei Schlagwörter: Wolf-Christian Ulrich, PBS und Franco. Das ist die Bandbreite von ZDFinfo, das seit fünf Jahren konsequent ein Doku-Kanal sein will. Ulrich ist der vielleicht wichtigste Mann von ZDFinfo-Chef Bachem: Wenn der sich nicht zu brutal früher Stunde ins Hauptstadtstudio schleppt, um das „Morgenmagazin“ zu moderieren, dann produziert er für ZDFinfo.
Ulrich war erst unterwegs als „Ulrich protestiert …“ – „…für Jobnomaden“ oder auch „…für ein unabhängiges Bayern“. Er ist zwar eigentlich nicht der Typ, dem man Protest abnimmt, aber davon abgesehen waren das kluge, da vor allem nachdenkliche Filme. Nun führt Ulrich in „Geschichte treffen“ zu einem Ereignis – etwa dem Ringen um die deutsche Einheit – fünf Interviews, um „Talk, Reportage und Dokumentation zusammenzubringen“, wie der Sender wirbt. Ulrich ist zwar Musikwissenschaftler und damit kein zweiter Guido Knopp, aber was soll’s! Auch dieses Format ist einen Tipp wert.
Vor allem ist Ulrich mit seiner Kontinuität aber das heimliche Maskottchen von ZDFinfo. „Es ist verdammt schwer, für so einen Kanal ein eigenes Gesicht aufzubauen“, sagt Senderchef Bachem. „Selbst wenn man noch so fleißig ist, kann man nicht ständig in Dokumentationen auftauchen.“ Das nehme man zwar sogenannten Presentern aus Großbritannien ab, aber hier keinem. „Ulrich produziert etwa acht Dokus im Jahr. Mehr geht nicht.“ Zuletzt kam ZDFinfo auf 122 Eigenproduktionen im Jahr.
Senderchef Bachem kauft aber auch fleißig Externes ein: 450 Produktionen, oft geschnürt in ganze Pakete, wie eben jenes vom US-Anbieter PBS. Der ZDF-Ableger sendet dann synchronisierte Fassungen von „Obama at War“, aber auch Dokus über Sterbehilfe in aller Welt. Ein Mix, der funktioniert.
So viel wie ZDFneo
„Wir waren offen gestanden alle ein wenig verwundert, dass solche Stoffe junge Zuschauer locken“, sagt Bachem. Inzwischen liege ZDFinfo bei den 14- bis 49-Jährigen gleichauf mit ZDFneo, heißt konkret: ein Marktanteil von zuletzt im Jahresschnitt gut 1,1 Prozent. Auch deshalb traut sich Bachem an die Königsdisziplin heran: aufwendige Filme, die mehr kosten als die üblichen gut 50.000 Euro. Eingetütet ist eine Produktion über Franco. „Hier gibt uns unsere Tochter ZDF Enterprises etwas dazu und will die Filme dann in Spanien und Südamerika verkaufen.“
Beim ZDF geht der Plan also auf, einen ganzen Kanal mit Dokumentationen zu bespielen. Auch andernorts läuft das Genre offensichtlich gut: Sowohl Kabel eins also auch N24 wollen im September eigene Doku-Ableger starten. Bei Kabel eins heißt es, man sehe „definitiv Potenzial bei Zuschauern, die sich für das Genre 'Dokumentation’ interessieren“, und will deshalb internationale Produktionen wie „Der Wilde Westen – die wahre Geschichte“ und „Echte Teufelskerle – Männer am Limit“ nach Deutschland holen.
N24 wiederum setzt auf einen Kniff: Der Sender, der ohnehin oft Dokumentationen statt Nachrichten zeigt, will per „Timeshift“-Verfahren auf dem neuen Kanal, N24 Doku, das Hauptprogramm wiederholen und die Zeit, in der auf dem Hauptkanal doch einmal Nachrichten laufen, mit weiteren Dokus auffüllen. „Tatsächlich haben wir die Budgets für Dokumentationen erhöht“, sagt Sendersprecherin Kristina Faßler. N24 Doku produziert etwa gerade „Foodreportagen“ und „Spacetime“ mit dem einstigen Astronauten Ulrich Walter.
Auf dem N24-Hauptsender künftig mehr Nachrichten zu zeigen ist allerdings nicht geplant: Faßler sagt ganz klar, an dem Zweisäulenmodell Doku und Nachrichten werde man „nichts grundsätzlich verändern“. Im Gegenteil: Das „Timeshift“-Verfahren solle gerade helfen, N24 „abzusichern“. Schließlich entwickle sich bei Dokus ein „nicht zu unterschätzender Verdrängungswettbewerb“. Bedeutet: Im Grunde spekuliert man darauf, mehr Zuschauer zu finden, indem man einen existierenden Sender quasi kopiert.
ZDFinfo-Chef Bachem hingegen mag von einem Verdrängungswettbewerb nichts hören. Er nennt Dokumentationen eine „gefragte Ware“. Man müsse da nur an Netflix und all die anderen neuen Streaming-Anbieter denken, die eigene Dokumentationen in Auftrag gäben – weil Dokus eben geklickt würden.
Jetzt kommen die Privaten
„Bislang war der Markt – auch international – allerdings sehr von öffentlich-rechtlichen Sendern geprägt“, sagt Bachem. „Das ändert sich jetzt.“ Die neue Konkurrenz aus Streaming-Diensten und weiteren dezidierten Doku-Kanälen zwinge das ZDF und damit ihn letztlich, sich „eindeutig“ zu positionieren.
Bachem bekommt für diese neue Ära zwar keine üppige Kriegskasse. Während er in den vorherigen Jahren aber noch anderes wie den sehr gewollt interaktiven Talk „Log-in“ aus seinem Budget bezahlen musste, darf er sein Geld heute komplett für neue Dokus ausgeben. Immerhin.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag