Neue CDU-SPD-Koalition in Berlin: Armselig & unsexy

Vier zentrale zukunftspolitische Berlin-Themen sind bezahlbares Wohnen, Energie- und Wärmewende, Verkehrswende und Verwaltungsreform. Kai Wegners neue CDU-SPD-Koalition wird sie eher nicht angehen. Ein Kommentar von Udo Knapp für taz FUTURZWEI.

Berlin: „Arm, aber sexy“ war einmal Foto: picture alliance/dpa

Von UDO KNAPP

taz FUTURZWEI, 02.05.2023 | Mit den berühmten drei Worten „Arm, aber sexy“ beschrieb der damals regierende Bürgermeister Klaus Wowereit 2003 seine Weltstadt und gleichzeitig sein Wirken. Berlin sollte das heißen: ein stolzes, kreatives, vielfältiges, aber zukunftsfähiges Chaos. Der Spruch wurde ikonisch und hat die Rezeption von Berlin vermutlich stärker geprägt als das dreizehnjährige politische Wirken Wowereits. 20 Jahre später und im Angesicht der gerade gebildeten Regierungskoalition von Kai Wegner und Fransziska Giffey, von CDU und SPD, muss man die politische Signatur Berlins wohl auf „armselig und unsexy“ abwandeln.

Dieser Befund trifft den Kern der Stadtentwicklung in den letzten zwanzig Jahren. Die Chance aus dem Zusammenwachsen von Ost- und West-Berlin einen Aufbruch hin zu neuem und weltstädtischem Niveau zu organisieren, wurde von allen Parteien liegengelassen. 18 Prozent für die Grünen, 18 für die SPD, 28 für die CDU bei der jüngsten Wahl – nicht mal ein Drittel aller Berliner Wähler hält das jeweilige politische Angebot der drei führenden Parteien zwingend. Aber das kratzt die wiederum wenig: Die politischen Eliten der Stadt sind sich selbst genug.

Berlin ist politisch geteilt in seine inzwischen vorwiegend schwarzen Randbezirke. Hier zelebriert der „Normal-Berliner“ sein erfolgreiches Bürgerleben. Im vor allem sich selbst liebenden rot-grünen Zentrum hat sich derweil das neue Bürgertum in den Resten einstiger linksgrüner Aufbruchskultur bequem und komfortabel eingerichtet.

Sozialdemokratische Selbstverzwergung

Die Berliner SPD unter der abgelösten Bürgermeisterin Franziska Giffey hat ihre sozialdemokratische Geschichte als Selbstverzwergung fortgeschrieben. Sie hat die Chance verworfen, weiter die Bürgermeisterin zu stellen, indem sie die Grünen und die Linken durch kluges Regieren in eine Zukunftskoalition zwingt. Sie hat ohne Not der CDU die Führung überlassen und gleichzeitig die neue Koalition und ihren Chef Kai Wegner durch die für dessen Wahl notwendigen drei Wahlgänge geschwächt. Nicht genug damit: Die Giffey-SPD hat mit dieser Koalition die Mehrheit der Ampel-Bundesregierung im Bundesrat zerstört und der CDU für die nächsten Jahre eine perfekte Wahlplattform verschafft.

Derweil können es die Grünen immer noch nicht fassen, dass es ihnen nun schon zum dritten Mal nicht gelungen ist, einen Regierungsauftrag für sich zu erarbeiten. Das lag nicht allein an ihrer Spitzenkandidatin. Eher daran, dass die Grünen kein Bild und keine überzeugenden Projekte vorweisen können, die Berlin als Weltstadt im 21. Jahrhundert profilieren würden. Die viele Berliner dazu veranlassen könnten, ihre Sicherheit im Status quo für einen klug orchestrierten sozialökologischen Aufbruch aufzugeben.

Die CDU hat sich in der Opposition zwar den notwendigen Modernisierungen nicht grundsätzlich verschlossen, die der Klimawandel und die Digitalisierung erfordern. Faktisch hat sie sich als Partei profiliert, die jede Zumutung für die Bürger verhindert, vor allem die für einen Wandel notwendigen. Es ist eine Politik, die der Maxime verpflichtet ist, dass alles beim Alten bleibt, wenn sich die Welt ändert. An diesem Versprechen ändert auch die Diversität in Wegners Personalauswahl für den neuen Senat wenig. Die Neuen sind aber immerhin ein Signal Wegners, dass er bereit ist, auch gegen seinen eigenen Parteimief zu regieren. Mehr Frauen, mehr parteiunabhängige Fachpersonen aus der Bundesverwaltung, als Justizsenatorin eine Fachfrau aus dem BND mit Migrationsgeschichte und ein Kultur- und Mediensenator mit Cluberfahrung für die Hochkultur der Stadt – das ist ein beachtlicher Schritt zur Öffnung in die Stadtgesellschaft.

Wegen Gegenstimmen aus der eigenen Koalition war Wegner bei seiner Wahl vermutlich auf Stimmen der AfD-Fraktion angewiesen. Daraus folgt zweierlei: Er kann bei allen politischen Projekten in den nächsten drei Jahren nicht mit der sicheren Zustimmung seiner Koalition rechnen. Und er kann es kaum verhindern, wenn die AfD ihn immer wieder offen stützen sollte. Die AfD kann sich schon heute für die Wahlhilfe 2026 bedanken.

Die großen Vier Berliner Themen

Die vier zentralen Berlin-Probleme sind bezahlbares Wohnen, eine Energie- und Wärmewende, eine Verkehrswende und eine Verwaltungsreform. Diese Großaufgaben sind im Koalitionsvertrag mit nicht mehr als Absichtserklärungen adressiert. Sie standen, fast identisch, schon bei Rot-Grün-Rot auf der Agenda, ohne wesentlich vorangebracht worden zu sein. Dabei ist eine Wende bei den großen Vier für die Berlin-Zukunft gar kein Hexenwerk.

Für bezahlbares Wohnen könnte ein entschlossener Senat mit dem Bau von drei neuen Stadtteilen am Stadtrand in den kommenden drei Jahren mehrere 10.000 Wohnungen auf den Weg bringen. Er müsste dazu nur die kommunalen Wohnungsbauunternehmen Gewobag und Co. links liegen lassen, das Kungeln mit der Immobilienwirtschaft beenden und die neuen Stadtteile als 100prozentige Sozialwohnungen in kommunaler Eigenverantwortung mit Mieten zwischen 6 bis 9 Euro pro Quadratmeter selber bauen.

Eine Verkehrswende könnte mit klug verdichtetem, kostenlosem ÖPNV jenseits von Jahrzehnte dauernden U-Bahnprojekten und einer Politik herbeigeführt werden, die nicht weiter Straßen ausbaut, sondern Autoverkehr in den Innenbereichen der Stadt verringert. Damit würde man die Lebensqualität innerstädtischen Wohnens wieder herstellen. Dazu gehören auch Konzepte, wie die leerlaufenden Konsumzentren zu neuen Lebensmittelpunkten in öffentlichem Interesse umgebaut werden können.

Die Energie- und Wärmewende könnte als stadtweiter Ausbau der Fernwärmeversorgung bis in jede Einfamilienhaussiedlung und in alle privaten Mietshäuser ausgelegt werden. Mit einem solchen Programm würde sich die Bereitschaft der Leute erhöhen, Teil postfossiler Zukunft zu werden.

Die Verwaltungsreform könnte die Bezirke entmachten und alle Zukunftsplanungen und Entscheidungen beim Senat konzentrieren. Eine einzügige Berliner Verwaltung würde mit einem Schlag die Spaltung der Stadt in ihren wohlbehüteten Rand und die selbstbezogenen Innenstadtlagen aufheben – und außerdem das Investitionsklima verbessern.

Die Zukunft der Menschen überall auf der Erde wird weitgehend in großen städtischen Agglomerationen stattfinden. Daraus ergibt sich ein politischer Gestaltungsauftrag für ein glückliches Leben der Vielen in den großen Städten und Megalopolen. An diesem Anspruch gemessen kommt die neue Berliner Regierung aus CDU und SPD wirklich armselig und unsexy daher. Sie läuft Gefahr, stärker am Gestern kleben zu bleiben als neue Horizonte zu öffnen. Für die Berliner Grünen ist das eine Gelegenheit, sich schleunigst in eine Zukunftspartei des großstädtischen Lebens umzubauen.

UDO KNAPP ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen für taz FUTURZWEI.

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