Neue Buchhandlung: Das Miteinander der Einzelkämpfer
Samstag eröffnet die Buchhandlung "Das besondere Buch". Hier gibt es nur Bücher von kleinen, unabhängigen Verlagen. Ein Porträt der Macher.
In der Mitte steht ein wuchtiger Tisch aus schwerem, rohem Holz. Die Beine bestehen aus hohen Bücherstapeln. Ein schöner Tisch, aber auch ein tolles Symbol dafür, was in diesem kleinen, nur dreißig Quadratmetern großen Raum ab heute stattfinden wird: Tischgespräche, zum einen. Vor allem aber Kommunikation über Bücher, über die normalerweise viel zu wenig kommuniziert wird.
„Das besondere Buch“ ist eine neue Buchhandlung in Prenzlauer Berg, einem Stadtteil also, der vor Buchhandlungen nur so strotzt. Und doch konkurriert „Das besondere Buch“ nicht mit den anderen, mit der Buchbox, der Käthe-Kollwitz-Buchhandlung, dem Georg-Büchner-Buchladen und dem Buch-Reigen um die Ecke. Denn hier wird es auf Initiative des Berliner Dittrich Verlages nur Bücher kleiner, unabhängiger Verlage geben. Weder wird der geneigte Leser an diesem Ort den neuen Titel von der Bestsellerliste finden noch den neuen „Harry Potter“ fürs Enkelchen bestellen können.
„Wir wollen hier alle vier bis sechs Wochen Autoren, Kritiker, Buchhändler und Verleger einladen“, sagt Rebecca Ellsäßer, die bei Dittrich bislang für die Presse verantwortlich war und nun auch die Veranstaltungen organisieren wird. „Wir wollen, dass die Leser auch außerhalb der Veranstaltungen verweilen, Neues entdecken und Verlagsluft schnuppern können“, fügt Gerrit Schooff an, einer der beiden Verleger bei Dittrich und Hauptinitiator der Buchhandlung. Wie viele Ladenbetreiber in Berlin will er den Raum nicht nur deshalb dem Publikum öffnen, weil er sich rasante Einnahmen verspricht. Vielmehr geht es ihm darum, mehr Kontakt zu den Lesern zu finden. Der Verlag hatte ohnehin sein Büro in diesem Laden – jetzt wird Gerrit Schooff eben „in aller Öffentlichkeit“ weiterarbeiten, meint er. Er wird telefonieren und Mails schreiben und hin und wieder von Kunden dabei unterbrochen werden. Eine schöne Abwechslung, wie er findet – ein Stück Berliner Ökonomie auch, wie sie typisch ist für diese Stadt des kreativen Prekariats.
Wie er darauf kam? Vor neun Monaten hatte Gerrit Schooff zum ersten Mal einen Verlagsstand auf einem Berliner Weihnachtsmarkt. Es traf ihn wie der Blitz, mit welcher „Begeisterung“ die Kleinverleger um ihn herum von ihren Büchern erzählten, wie gut sie ihre eigenen Bücher erklären konnten. Plötzlich wurde ihm bewusst, wie wichtig dies für Bücher ist, die nicht durch teure Marketingkampagnen gepusht werden und die auch oft nicht in den Feuilletons besprochen werden. „Ich war schon lange Fan der Kleinverlagsszene“, sagt er. „Dann wurde mir klar, wie sehr wir Kleinverleger von unseren Sorgen in Beschlag genommen sind.“ Gerrit Schooff nippt an seinem Tee. „Wir nehmen uns zu wenig Zeit, Dinge miteinander und füreinander zu machen“, fügt er an. Also nahm er Kontakt mit der Leipziger Kurt-Wolff-Stiftung auf – einer Stiftung, die sich der Förderung der Kleinverlage verschrieben hat. Seit dem Jahr 2000 vergibt sie jährlich einen Preis an einen Verlag mit besonders gutem Programm. Nun unterstützt sie auch „Das besondere Buch“.
Im zweiten Schritt schrieb Schooff an die Verlage – und stieß sofort auf großes Hallo. An die 60 Verlage haben ihm inzwischen Bücher geschickt, rund zehn ihrer besten, also nicht nur die aktuellsten. Nun stehen sie, nach Verlagen geordnet, in den weißen Regalen dieser neuen Buchhandlung.
Gerrit Schooff ist noch nicht lange Verleger, seit fünf Jahren erst. Er ist also das, was man einen klassischen Quereinsteiger nennt. Zwölf Jahre lang war er Banker, erzählt er, und als er vierzig wurde, da kam die große Krise. Schon lange hatte er sich auf den Buchmessen herumgetrieben und war immer mit Koffern voller Bücher nach Hause gekommen, über die sich nicht schon Gott und die Welt unterhielt. Durch einen Zufall lernte er bald, nachdem er bei der Bank gekündigt hatte, Volker Dittrich kennen, der seinen Verlag seit 1980 leitet – erst in Köln, dann seit knapp zehn Jahren in Berlin. Damals steckte Volker Dittrich gerade mitten in einem der ambitioniertesten Projekte der deutschen Kleinverlagsgeschichte: In der Edition der Werkausgabe von Edgar Hilsenrath, der einer der originellsten Stimmen der deutschen Nachkriegsliteratur ist, den aber damals doch kaum jemand kannte.
Gerrit Schooff war beeindruckt davon, wie Volker Dittrich für seine Sache brannte – so, wie man eben für eine Sache brennen muss, die nicht viel einbringt außer Spaß und Erkenntnisgewinn, auf keinen Fall aber Geld. Oder, mit den Worten Gerrit Schooffs: „In dieser Branche ist sich jeder im Klaren darüber, dass die Dinge, die man macht, betriebswirtschaftlich keinen Sinn haben.“ Gerrit Schooff weiß, wie man Bilanzen liest. Er weiß aber auch, wie man Menschen abseitige Geschichten verkauft, die sonst vielleicht eher Bestseller lesen.
Aber wie geht das genau, will man wissen, und schon springt der große Mann mit dem sanften Berliner Akzent auf und übt es schon mal ein wenig, das „etwas andere Verkaufsgespräch“, das er in Zukunft öfter führen wird.
Sein Lieblingsbuch beim Dittrich Verlag?
Gerrit Schooffs Augen leuchten. Zielsicher greift er ins Regal rechts außen. „Lindita Arapi“, sagt er. Es handelt sich um eine albanischstämmige Autorin, die aus einer politisch verfolgten Familie stammt und dementsprechend in der Schule ausgegrenzt wurde. „Ein interessanter Blick auf eine interessante Welt, denn so abgeschottet Albanien im Ostblock war, so abgeschottet lebte auch diese Familie“, sagt Schooff. Schon ist man neugierig.
Einer der interessantesten Verlage, die nicht jeder kennt?
Gerrit Schooff bewegt sich elegant ein Stück weiter nach links und erzählt von einem Verlag in der westdeutschen Provinz, der seine Bücher in einer Scheune lagert und bis heute selbst verschickt. Dann fällt ihm noch einer ein. „Der Milena Verlag aus Österreich natürlich!“, ruft er. Milena haben sehr moderne Bücher mit sehr moderner Aufmachung gemacht. „Sie pflegen ihre Autoren und entdecken viel wieder“, sagt er. Zum Beispiel? „Kennen Sie Richard Tauber?“, fragt er. Kennt man nicht. „Sehen Sie, ich auch nicht, und das, obwohl ich Berliner bin.“ Richard Tauber war ein Operettensänger, ein Berliner Superstar der Zwanziger, der nach dem Krieg ziemlich in Vergessenheit geraten ist. Die Biografie ist eine der spannendsten, die Schooff in letzter Zeit gelesen hat, meint er.
Gerrit Schooff hat nicht zu viel versprochen. Hier kann jeder, der es wissen will, nicht nur viel über besondere Bücher erfahren, sondern auch viel über die Produktionsbedingungen dieser – über die Geschichten ihrer Verlage also. Im kleinen, behaglichen Raum mit dem wuchtigen Tisch, den lindgrünen Wänden und den weißen Regalen schwirren massenhaft Ideen und Träume herum. Es ist ein schöner Raum, in dem man viel Zeit vertun kann, ohne anschließend das Gefühl zu haben, sie vertan zu haben. Es ist ein Raum, der sicher funktionieren wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos