Neue Biografie zu Walter Gropius: Herrenreiter Gropius
Der Künstler und Autor Bernd Polster rüttelt mit seiner Biografie über Walter Gropius am Bild des großen Architekten.
Seit Roland Barthes in den 1950ern von den „Mythen des Alltags“ sprach, weiß man, dass der Mythos keinesfalls allein der Antike angehört. Es gibt auch Mythen der Jetztzeit. Was sie mit dem Altertum verbindet, ist der Umstand, dass auch ihnen geglaubt wird, so als hätte man es mit tatsächlichen Begebenheiten zu tun.
Aus gegebenem Anlass hat sich der Publizist und Künstler Bernd Polster nun mit einem besonders mythenumwobenen Fall befasst. Der 100. Geburtstag der Gründung des Bauhauses in Weimar wird wie eine Staatsaktion groß in Szene gesetzt. Bundespräsident Steinmeier sprach zur offiziellen Eröffnung des Bauhaus-Jahres 2019, und drei neue Bauhaus-Museen werden gerade auf den Weg gebracht.
Dabei könnte man bei diesem Gründungsjubiläum bereits einem Mythos aufgesessen sein. So erinnerte Bernd Polster am Dienstag im Literaturforum im Brecht-Haus am Ende seiner Lesung aus seiner neuen Biografie zu Walter Gropius daran, dass eine Gründung im eigentlichen Sinne gar nicht stattgefunden hat.
Was vor 100 Jahren in Weimar passierte, war keine Neugründung, sondern eine Vereinigung zweier bestehender Schulen, einer Kunst‑ und einer Gewerbeschule, unter dem neuen Namen „Staatliches Bauhaus“. Nun kann man sagen, das sei Wortklauberei. Aber es zeigt doch schon, wie Gropius als erster Direktor der neubenannten Schule als Gründungsfigur eine Bedeutung zugeschreiben wird, die bei genauerem Hinsehen zumindest relativiert werden muss.
Es muss Spaß machen, Legende um Legende zu widerlegen
Polsters Gropius-Biografie ist voll von solchen Facetten des Gropius-Mythos. Vor allem aber zeigt sie, wie Gropius seine Selbstüberhöhung durch Fake News praktisch bewerkstelligt hat. Am Dienstag gab Polster davon einige Kostproben. Erstaunlicherweise kann Polster sich offenbar über seine Entlarvungen von Gropius’ Geschichtsklitterungen immer noch amüsieren. Es muss Spaß gemacht haben, Legende um Legende zu widerlegen, die bis heute gültig sind, ohne dass jemals nachgefragt worden wäre.
Bernd Polster: „Walter Gropius. Der Architekt seines Ruhms“. HanserVerlag, München, 2019, 32 Euro
So war es Polster, der sich als erster ausführlich mit Gropius’ Herkunft und Kindheit befasst hat. Gropius selbst hat sich darüber nicht weiter verbreitet und sein erster Biograf Reginald R. Isaacs benötigte 1983 dafür eine Seite. In Polsters 650 Seiten dickem Gropius-Buch macht das für den späteren Bauhaus-Direktor so prägende „Kaiserreich“ rund ein Drittel des Platzes aus – und ist damit ungefähr genauso gewichtig wie die „Weimarer Republik“ und „England und Amerika“, also die restlichen beiden Drittel des Werkes.
21-mal kommen Glücksfeen als metaphorische Lückenfüller in Polstery Schilderung vor, wenn in Gropius’ Leben sich jene unwahrscheinlichen Zufälle ereigneten, die man anders nicht erklären kann. Gropius’ Leben liest sich denn auch wie ein Roman, so unglaublich sind die glücklichen Fügungen und Erfolge eines Menschen, den Polster noch in seiner Jugend als jemand ohne besondere Interessen oder Talente beschreibt.
Und doch sollte sich herausstellen, dass dieser Gropius in der Lage war, Menschen (darunter auch viele Frauen) zu beeindrucken, zu mobilisieren und für eigene Zwecke „einzuspannen“.
Gropius’ Reitkünste
Es nimmt daher nicht wunder, dass Gropius ein hervorragender Reiter war. Ja, dass Gropius’ Reitkünste für Polster eine Art Schlüssel zum Verständnis von dessen Charakter sind. Gropius war es von Kindheit an gewohnt, im Sattel zu sitzen und auf die Welt herabzuschauen.
Mit dem Reiten verband sich offenbar Gropius’ Fähigkeit, Personal und Untergebene zu „führen“, ihnen aber auch die nötige Bewegungsfreiheit zu geben. Diese Qualitäten hat Gropius nicht nur als Husar im Weltkrieg eingesetzt, bei der er tatsächlich durch tollkühne Husarenstücke auffiel, sondern das hat er offenbar auch am Bauhaus geschickt anzuwenden gewusst.
Gropius führte, ließ aber „seinen“ Lehrern genügend Freiheit, das umzusetzen, was man dann zum Beispiel Bauhaus-Pädagogik nannte. Die stammte nämlich von Johannes Itten, der den berühmten Vorkurs am Bauhaus einführte. Itten wiederum hatte Gropius durch seine Frau Alma Mahler kennengelernt. Alma selbst traf er während einer Kur durch Zufall – oder durch eine Glücksfee.
Im Brecht-Haus ergänzte Polster seine Lektüre durch Bildprojektionen von Zeichnungen aus eigner Hand. Darin zu sehen waren Personen, die in Gropius’ Leben eine Rolle spielten. So konnte man erkennen, dass Polster selbst gut zeichnen kann. Eine Eigenschaft, die Gropius völlig abging. Dieser Architektur-Heros des 20. Jahrhunderts hat keinen „seiner“ Entwürfe selbst gezeichnet.
Der Menschenfischer
Dafür fand Gropius stets Personal. Darunter viele gute Leute, deren Anteil an „seinem“ Werk Gropius erfolgreich vergessen machen konnte. Auch mit Hilfe der vielen „Experten“, die Gropius’ Legenden in eigener Sache einfach weitererzählt haben.
Ob und inwieweit Gropius an den ihm zugeschriebenen Bauten überhaupt beteiligt war, ist vielfach ungewiss. Dass er aber allein Urheber gewesen wäre, ist nach Polster die unwahrscheinlichste Annahme. Trotzdem wird der Mythos einer Gropius-Architektur beständig weiter perpetuiert. Aufklärung muss eben alle jene fürchterlich schmerzen, die sich im Glauben an ihren Architekturgott fest verwurzelt fühlen.
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