Neue "Big Brother"-Staffel bei RTL2: Lebenshilfe mit Jürgen
Die achte Staffel von "Big Brother" startet. Das Format habe sich "vom Reality-Trash zur Doku-Soap entwickelt", behauptet die Produktionsfirma. Provozieren will man aber immer noch.
K ÖLN taz Doppelbuchstaben sind Jürgen Milskis Schicksal. Sie haben den blonden Kölner vor acht Jahren über Nacht berühmt gemacht, heute rauben sie sie ihm oft den Schlaf. Der gelernte Feinblechner gehörte im Jahr 2000 zur ersten Besatzung des Fernsehcontainers "Big Brother" (BB).
Neben den beinahe täglichen (Mo.-Sa., 19 Uhr) und 14-täglichen (Mo., 20.15 Uhr) "BB"-Sendungen auf RTL2 wird es auf 9Live erstmals täglich "Best of Big Brother" sowie "Call Big Brother" (Mo.-Do., 23.15 Uhr, Fr.-Sa., 21.30 Uhr) geben - ein sendertypisches Rätselquiz mit Live-Schalten ins Haus. Zum vierten Mal wird Premiere auf einem eigenen "BB"-Kanal rund um die Uhr übertragen. Für seine Standleitung während der sechsten Staffel bekam der Sender einen Eintrag ins Guiness-Buch, für die längste Live-Übertragung der Welt. TAZ
Nach Versuchen als Partysänger ("Natascha vorm Pascha", "Halbschwul") arbeitet der 44- Jährige mit der Gelfrisur seit 2005 als Moderator beim Quiz-Sender 9Live. Dort stand Milski auch am Donnerstag wieder bis zwei Uhr nachts vor einer Ratewand: Gesucht wurde ein Wort mit Doppelbuchstabe. Am Morgen danach sitzt das Mediengeschöpf Jürgen mit tiefen Augenringen in einem Konferenzraum des Kölner Coloneums und sagt: "Ich bin wieder da angekommen, wo ich vor acht Jahren entsprungen bin" - bei 'Big Brother'."
Heute startet die achte Staffel der Mutter aller Reality-Shows, und Milski ist zum zweiten Mal als Moderator dabei. Wieder kämpfen 12 Kandidaten darum, wer sich am längsten von insgesamt 60 Kameras beobachten lassen darf. Wieder wählen die Zuschauer alle zwei Wochen einen Bewohner aus dem Haus. Und wieder gewinnt der letzte Insasse nach 183 Tagen das Preisgeld von 250.000 Euro.
Auf der Pressekonferenz, zu der die Produktionsfirma Endemol geladen hat, soll nichts den Eindruck erwecken, "BB" sei nach acht Jahren nur noch eine trashige Einschlafhilfe. Es werden T-Shirts mit Logo, CDs mit dem Titelsong und bunte "Big Brother"-Broschüren gereicht. "Die letzte Staffel war im internationalen Vergleich die beste", frohlockt Borris Brandt, der Deutschland-Chef von Endemol. Die Quoten seien von der sechsten zur siebten Staffel gestiegen. Im Schnitt habe man 8 Prozent Marktanteil in der werberelevanten Zielgruppe der 18- bis 49-Jährigen - 2 Prozent mehr als RTL2.
Doch auch der alerte Medienmanager Brandt weiß, dass TV-Formate eine begrenzte Lebensdauer haben. Im Gegensatz zu den ersten Staffeln sind die Zuschauerzahlen gesunken, es haben sich auch weniger Kandidaten beworben als noch zu Hochzeiten von "BB". Rund 10.000 Bewerbungen gingen ein. Auch die Medienlandschaft hat sich verändert: Dass zwölf Menschen sich freiwillig ein halbes Jahr einsperren und beim Duschen beobachten lassen, reicht acht Jahre nach der ersten Staffel nicht mehr für einen Skandal. "Die Schlüssellochperspektive, das Voyeuristische will der Zuschauer nicht mehr sehen", glaubt Brandt. Deshalb setze man heute auf die Coaching-Aspekte des Formats. "Die Marktforschung sagt uns, dass die Leute nach Lebenshilfe verlangen: Sie wollen sehen, wie Menschen auf engstem Raum miteinander klarkommen. 'Big Brother' hat sich vom Reality-Trash zur Doku-Soap entwickelt."
Auch die Kandidaten hätten sich verändert. "Am Anfang haben sich viele Frauen aus dem tanzenden Gewerbe beworben", witzelt Brandt. Heute liege der Bildungsgrad der ausgewählten Bewohner erstmals über dem Bevölkerungsdurchschnitt. "Bei uns bewerben sich Menschen mit abgeschlossenem Studium, die mal ein halbes Jahr Auszeit nehmen wollen." Der Wunsch nach den berühmten 15 Minuten Ruhm sei größtenteils "kein Thema" mehr: "Natürlich hat jeder die heimliche Hoffnung, berühmt zu werden oder zu moderieren - aber das erklärte Ziel der Kandidaten ist es nicht." Wird "Big Brother" also zum Coaching-Format, in dem Akademiker im Sabbatical abendelang über Derrida diskutieren - und zwischendurch über den Putzplan? Schwer zu glauben.
Sehr offensichtlich und rührend ist der Versuch der Macher, das Format mal wieder auf Provokation zu bürsten: Nach der auf ein Jahr verlängerten Laufzeit in Staffel 5 und dem "BB"-Dorf in Staffel 6 sollen jetzt die sozialen Unterschiede für Sprengstoff sorgen. Die Bewohner spielen beim Einzug darum, ob sie im "Wohnbereich Arm" oder in der "Zone der Reichen" leben dürfen. Im erstmals zweistöckigen Haus sind beide Bereiche nur durch eine hüfthohe Mauer getrennt - hier das kunstvoll auf siffig getrimmte Matratzensofa mit Holzkiste, dort die Designercouch mit Glastisch. "Natürlich sollen Streit und Missgunst entstehen, wir wollen den Zuschauern doch was bieten", sagt Miriam Pielhau, die die "BB"-Shows zusammen mit Charlotte Karlinder und Milski moderiert. Und natürlich hofft man auf "Darf man das?"-Kampagnen der Boulevardblätter.
Als Milski die Presse am Freitagmittag durch das von Spots und Strahlern erhitzte Haus führt, werden seine Augenringe von Lachfalten überlagert. "Bei uns war es damals noch heißer", sagt er und grinst. Die Hitze - und nicht etwa Exhibitionismus - sei der Grund, warum die Bewohner oft halbnackt durch die Wohnung laufen. Zu seinem Containerkumpel Zlatko, mit dem er im Jahr 2000 die Single "Großer Bruder" aufnahm, hat Jürgen übrigens seit Jahren keinen Kontakt mehr. "Was der jetzt macht? Keine Ahnung - vielleicht putzt er jetzt in Ulm die Damentoiletten", scherzt er.
"Von 'BB' zu 00" - das wäre eine tolle Schlagzeile für die Großdruckzeitungen.
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