Neue Arbeitsform Co-Working-Space: Der Zusammenarbeitsplatz
Junge Freiberufler können heute einen Schreibtisch für ein paar Stunden oder Wochen mieten - kreativer Austausch inklusive.
Um die Dreißig zu sein, ist ein guter Zeitpunkt, um sich selbstständig zu machen. Das war der Gedanke, der Chuente Noufena und Marie Jacobi im vergangenen Sommer kam. Damals hingen sie oft zusammen mit Freunden in Jacobis Garage im Nord-Neuköllner Reuterkiez rum. "Wir saßen da, ab und zu hatten wir unsere Laptops dabei und haben gearbeitet", erinnert sich die 29-Jährige Noufena.
Sie hat BWL studiert und arbeitete in einer Werbeagentur, bis ihr vor einem Jahr gekündigt wurde. Marie Jacobi ist Textildesignerin, beide arbeiten freiberuflich. "Irgendwann wollte ich zu Hause nicht mehr arbeiten. Ich brauchte einen anderen Raum", erzählt die 31-Jährige Jacobi. Warum den nicht gleich selbst schaffen und einen Co-Working-Space eröffnen?
Noufena kannte die Idee aus den USA: FreiberuflerInnen oder Menschen, die im Beruf viel unterwegs sind, können sich hier tage-, wochen- oder monatsweise einen Schreibtisch mieten. So kann es sein, dass in täglichem Wechsel Unternehmensberaterinnen, Grafiker und Designerinnen an den Mietschreibtischen nebeneinander sitzen, arbeiten und sich austauschen.
Noufena und Jacobi wohnen seit Jahren im Reuterkiez. Dort wollten sie mit ihrer Idee vom flexiblen Mietbüro auch bleiben. "Wir wollten einen Ort finden, der uns und Gleichgesinnte näher bringt" sagt Jacobi. Eher zufällig seien sie im Juli an einem leer stehenden Ladengeschäft in der Hobrechtstraße vorbeigekommen. Eröffnet wurde ihr Co-Working-Space "Wostel" mit 150 Quadratmetern im Dezember.
Über die Höhe der Miete wollen die Betreiberinnen keine Auskunft geben, nur, dass die monatlichen Fixkosten 1.500 Euro betragen und ein eigenes Gehalt von den Mieteinnahmen noch nicht drin sei. Ihr Geld verdienen sie weiterhin mit Aufträgen. "Ich treffe seit zwei Monaten keine Freunde mehr, aber das ist wohl normal", sagt Jacobi.
17 Arbeitsplätze in zwei Räumen gibt es, dazu einen Seminarraum. Für 175 Euro monatlich bekommt man einen eigenen Schlüssel und einen permanenten Zugang zu dem gemieteten Arbeitsplatz, den man sich mit eigenem Rechner und Zubehör einrichten kann. Andere Gäste können sich mitsamt Laptop Montags bis Samstags von zehn bis 18 Uhr für zehn Euro an den Miet-Schreibtischen einfinden. W-LAN, Kopieren, Drucken und Scannen sowie ein Schließfach sind im Preis inbegriffen.
Das ist billiger als in vielen anderen Co-Working-Spaces: Die bieten dafür zusätzliche Services wie eine Postadresse und eigene Festnetznummern. Das Wostel sei jedoch zu klein, um etwa für alle BesucherInnen eine eigene Postadresse anzubieten, so Noufena. Der niedrige Preis soll ein Anreiz sein, eine feste Gruppe an Leuten ans Wostel zu binden. "Wir stehen noch ganz am Anfang", sagt sie. Vier feste Mieter hätten sie bisher, im Schnitt fünf NutzerInnen würden täglich kommen.
Davon, dass ihr Konzept funktioniert, sind Noufena und Jacobi überzeugt. Denn der Bedarf an flexibel nutzbaren Arbeitsplätzen wachse im Kiez. In den Cafés, die seit einigen Jahren zwischen Maybachufer und Sonnenallee aus dem Boden schießen, säßen immer häufiger FreiberuflerInnen und Kreative mit ihren Laptops. Die würden von den WirtInnen oft in die hinterste Ecke verwiesen. "Die haben kein Bock mehr auf Leute, die Stunden an einem Milchcafé schlürfen", sagt Jacobi. Für letztere sei das Wostel gedacht, nicht "für irgendwelche Yuppies", die jetzt aus Mitte hierher kämen, wie sie ein wenig rechtfertigend betont.
Damit spricht sie das Stichwort Gentrifizierung an, das an dem im Herbst eröffneten Buchladen nebenan schon mal kurzzeit die Hauswand zierte. Als "Gentrifizierungshandlangerinnen" und "Schnösellesbenpack" wurden die beiden Besitzerinnen von Unbekannten beschimpft. Jacobi und Noufena warten nur auf so eine Reaktion, sagen sie. Auch ihr fehle der ruhige Reuterkiez von früher manchmal, sagt Jacobi. "Aber", sie zuckt mit den Schultern, "das ist eben der Lauf der Dinge". "Jump on the boat" fügt Noufena hinzu.
Auf das Co-Working Boot sind Alexander Lang und sein Partner schon 2008 aufgesprungen. Vorher waren die Programmierer mit ihrem zehn Arbeitsplätze umfassenden Mietbüro in Friedrichshain angesiedelt. Das wurde irgendwann zu klein, sie fingen an, sich nach leer stehenden Fabriketagen in Kreuzberg umzusehen. "Weil das eine hippe Gegend ist", lautet die Begründung des 29-Jährigen zur Wahl des neuen Kiezes. Eingezogen sind sie in einen Hinterhof in der Adalbertstraße, 100 Meter vom Kottbusser Tor entfernt.
Die Idee mit dem Co-Working sei eher zufällig entstanden. Mit ihrer Software-Firma arbeiten sie projektbezogen und mit verschiedenen Leuten zusammen. Co-Working-Space Betreiber seien sie nebenbei. "Reich wird man damit nicht. Der Gewinn ist die Vernetzung", so Lang. Bei ihm arbeiteten hauptsächlich Programmiererinnen und Web-Designer, man tausche sich über Projekte aus und arbeite auch zusammen.
Rund 20 Schreibtische stehen in der ehemaligen Kreuzberger Fabriketage auf 180 Quadratmetern. Die Tagesmiete beträgt 12 Euro, der Preis für einen Monat rund 180 Euro: Damit hat man einen Arbeitsplatz an irgendeinem Schreibtisch reserviert, der jedoch jeden Tag ein anderer sein kann und dementsprechend jeden Abend geräumt werden muss. Für Leute, die nur einen Laptop zum Arbeiten brauchen, kein Problem: "Das Prinzip von Co-Working ist, dass man flexibel bleibt", beschreibt Lang die Funktion der Mietschreibtische. Mit "co-up" seien sie einer der ersten Co-Working-Spaces gewesen, berichtet der Programmierer. "Es gibt einen großen Streit in Berlin darüber, wer tatsächlich den ersten Co-Working-Space aufgemacht hat."
Joana Kluge und Timo Hölzer vom "Kreativloft tanterenate" beanspruchen ebenfalls für sich, Co-Working-Pioniere zu sein. Auch sie haben sich bewusst für die Nähe zur belebten Oranienstraße entschlossen. 2008 haben sie das 230 Quadratmeter große Mietbüro in der Waldemarstraße eröffnet. Dass es einmal einen Begriff, gar einen Trend, für diese Art des Zusammenarbeitens geben würde, hätten sie damals noch nicht geahnt, so die 25-Jährige Kluge. In den ersten anderthalb Jahren noch hätten sie den Leuten erklären müssen, was ihr Angebot von einer festen Bürogemeinschaft unterscheide. Inzwischen wüssten die KundInnen genau, was sie von dem Mietbüro erwarten.
Kluge ist Mediendesignerin, genauso wie ihr 31-Jähriger Kollege. Sie vermieten 18 Plätze, jedoch nur monatsweise. "Wir wollten Kontinuität und Teamgeist", beschreibt Hölzer das Konzept. Probleme mit Kunden und Konkurrenzdenken gebe es in der Medienbranche genug. Hier solle der soziale Zusammenhalt zwischen Marketing-Experten, Web-Designerinnen und PR-Beratern gestärkt werden. "Viele fragen sich zum Beispiel bei den ganzen Anglizismen: Was reden die da jetzt?", erklärt Hölzer die Tücken des Alltags in der Medienbranche. Gemeinsames Arbeiten schaffe ein Vertrauensverhältnis, in dem solche Probleme geklärt werden könnten.
299 Euro kostet die Teilhabe an dieser Gemeinschaft im Monat. Dafür bekommen MieterInnen einen ruhigen Schreibtischplatz am Fenster plus Leistungen wie W-LAN, Drucker, Alarmanlage und Wachschutz. Die Leute, die hier sitzen, bleiben meist für mehrere Monate oder Jahre, so Hölzer. Weitere Leistungen wie ein Sekretariatsservice seien in Planung. "Man könnte schon sagen, dass wir uns immer mehr professionalisieren", meint Hölzer. Dennoch sei "tanterenate" kein wirtschaftliches Konzept, sagt seine Kollegin Kluge, "eher ein ehrenamtlicher Vollzeitjob".
Knapp 200 Plätze auf drei Etagen und rund 2.000 Quadratmetern: Wer ein paar hundert Meter weiter Richtung Westen zieht, kann sehen, dass Co-Working 2011 in Berlin zum wirtschaftlichen Konzept gereift ist. Das Betahaus am Moritzplatz ist für die sechs BetreiberInnen kein Nebenerwerb, sondern ihr Brotjob. "Angefangen haben wir 2009 mit einem Büroraum von 20 Quadratmetern", erzählt Madeleine von Mohl, eine der GründerInnen. In dem vierstöckigen Gebäude, in dem einst Putzlappen fabriziert wurden, eröffneten die sechs BetreiberInnen zunächst ein Büro im dritten Stock. Das war nach einem Monat voll besetzt, so dass ein weiterer und im letzten Frühling ein dritter Raum mit jeweils rund 50 Arbeitsplätzen eröffnet wurde. Im letzten Sommer eröffnete das Betahaus Hamburg, für Mai ist ein Betahaus in Köln geplant.
"Co-Working-Spaces haben sich etabliert", meint Jürgen Schepers von der Industrie- und Handelskammer. In Berlin sei die Kreativwirtschaft besonders ausgeprägt. Dafür sprechen auch die jüngsten Zahlen der Senatsverwaltung für Wirtschaft über Kreativ- und Kulturwirtschaft von 2008: Mit Wachstumsraten von 43 Prozent seit 2000 liegt die Hauptstadt bundesweit vorn. Die Kreativwirtschaft hat hier einen Anteil von 16 Prozent des Gesamtumsatzes. 85 bis 90 Prozent der Kreativunternehmen bestünden aus ein bis drei Leuten, so Schepers, da sei Co-Working mit den guten Vernetzungsmögichkeiten "die ideale Arbeitsform".
Axel Stab ist Mechatroniker und seit einem Jahr Mieter im Co-Working-Space. "Maschinenraum" nennt er sein 19 Quadratmeter großes Arbeitszimmer, schon durch das Bullauge in der Tür erkennt man die "Universalmaschine" an der er arbeitet. Sie besteht aus Metallleisten, die auf vier Füßen stehen und so zu einem circa zwei Quadratmeter großen Rechteck angeordnet sind. Für den Laien ist kaum erkenntlich, dass diese Maschine einmal fräsen, sägen und lasern soll. Den Designern, die nebenan an ihren Entwürfen werkeln, erklärt Stab gerne, wie sie solch technische Apparaturen für ihre Ideen nutzen können. Eine Stunde kostenlose technische Beratung für andere MieterInnen gebe er in der Woche, dafür erhalte er von den Betahaus-BetreiberInnen 40 Euro Nachlass auf die 200 Euro Miete, die er monatlich bezahle. "Das ist fruchtbar für alle", meint er, "es macht mir Spaß, Leuten, die keine Ahnung haben, zu helfen."
Selbstständig, flexibel und im Austausch mit anderen arbeiten -auch wenn die Arbeitswoche sieben Tage hat: Vom Moritzplatz bis zum Reuterkiez nutzt die junge kreative Klasse alte Fabrikgebäude für ihre eigenen Vorstellung vom Arbeiten. Acht der knapp 20 Berliner Co-Working-Spaces liegen an der südlichen U8, weil die Nutzerinnen und Betreiber hier wohnen und in der Nähe arbeiten wollen, sagt Sebastian Sooth. Der 32-Jährige Co-Worker hat sein "Studio 70" im Juni 2009 eröffnet. Er meint: "Mit Co-Working-Spaces ist es wie mit Cafés: Wo eins aufmacht, da kommen mehr."
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