PRESS-SCHLAG: Neubergers Traum
■ Viele ungelöste Probleme vor der Auslosung der Qualifikationsgruppen zur Fußball-WM '94 in den USA
Ein bißchen hat er schon gestaunt, der Hermann Neuberger, seines Zeichens Chef-Organisator der Fußball-Weltmeisterschaft 1994, als er in den USA herumreiste, um mal nachzuschauen, was das Austragungsland bislang so zum Gelingen des gewagten Unternehmens „USA '94“ beigetragen hat. Den ersten Schock versetzte ihm bereits ein New Yorker Taxifahrer, der auf schüchterne Anfrage des FIFA- Gewaltigen und DFB-Präsidenten freimütig zugab, den Namen Franz Beckenbauer noch nie gehört zu haben. Ein harter Schlag, denn schließlich soll Beckenbauer nach Neubergers Willen ab 1993 der Motor dafür sein, „soccer“ in den Vereinigten Staaten wieder populär zu machen. Doch Beckenbauers Zeit bei Cosmos New York und die Blüte der US-Soccer-Liga, als aus allen Teilen der Welt Stars wie Pelé, Cruyff, Chinaglia, Müller oder Cubillas für einen Zuschauerboom sorgten, liegen fast fünfzehn Jahre zurück, und mittlerweile könnte Beckenbauer kundtun, er habe Pest, Cholera und Aids zugleich — kein Schwein in den USA würde sich vermutlich darum scheren.
Am Sonntag findet mit 2.000 Gästen im Paramount Theatre des New Yorker Madison Square Garden die Auslosung für die Qualifikationsgruppen statt, bis Ende Februar sollen aus zwanzig Städten die zwölf Austragungsorte erwählt werden. Doch auch in diesem relativ fortgeschrittenen Stadium der Vorbereitung wurde Hermann Neuberger manch unliebsame Überraschung zuteil, als er die potentiellen WM-Schauplätze besuchte. Einige Veranstalter, die sich locker beworben hatten, besaßen nicht die mindeste Ahnung, was eine Fußball-Weltmeisterschaft überhaupt ist. Sie glaubten, es handle sich — wie bei der Super Bowl im American Football — lediglich um ein einziges Spiel, und sie hatten sich bloß für die Sache interessiert, weil es gegen andere Städte ging. Da darf man schließlich nicht kneifen.
Während der Frauenfußball in den USA an den Schulen und Colleges so hoch entwickelt ist, daß die besten Kickerinnen der Nation jüngst in China sogar Weltmeisterinnen wurden, liegt der Männerfußball im argen. Tapfer glaubt Neuberger daran, daß bis 1994 alles besser werden wird, wobei die Grundlage seines Hoffens das tiefe Vertrauen in den Stolz der WM- Gastgeber von 1994 ist: „Ich bin guten Mutes. Die Amerikaner werden sich nicht blamieren wollen. Neubergers Traum ist der Aufbau eines Fußballbetriebes ähnlich den Verhältnissen des DFB mit Landesverbänden.“ Ein Job für Kaiser Franz, wie der DFB-Chef meint. Doch, siehe oben: Wer kennt schon Beckenbauer?
Ein weiteres Problem ist das Fernsehen. Während die Senderechte für den Rest der Welt längst unter Dach und Fach sind, haben die Fernsehgiganten der USA — ABC, CBS und NBC — für die Soccer-WM gerade mal ein müdes Lächeln übrig. Nur 1,06 von insgesamt 92,1 Millionen Fernseh- Haushalten mochten das Weltmeisterschaftsfinale von Rom 1990 zwischen Deutschland und Argentinien (1:0) sehen — ein hochgradiger Absentismus, der das Verscherbeln von Werbeminuten für die Medienkonzerne nicht gerade einfach macht. Angesichts des Desinteresses der TV-Riesen erwägt das US-Organisationskomitee sogar, seinerseits Sendezeiten, etwa bei NBC (etwa 6,6 Millionen Dollar für elf Spiele), zu erwerben, um die der FIFA gegebene TV-Garantie erfüllen zu können.
Der Sport kauft dem Fernsehen Sendezeit — eine wahrhaft revolutionäre Idee. Und ausbaufähig dazu: wenn die Organisatoren noch ein paar Milliönchen drauflegen und ihnen die FIFA finanziell etwas unter die Arme greift, dürfte es kein Problem sein, das passende Publikum für die Fernsehübertragungen dazuzukaufen. Und es müßte doch mit dem Teufel zugehen, wenn nicht noch ein paar Komparsen zum Füllen der Stadien abfielen. Spielberg statt Beckenbauer — und schon sind alle Probleme gelöst. Matti
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