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Neu in den Berliner ProgrammkinosInspirierende Handschriften

Dichterin Marina Zwetajewa im Kino Krokodil und rettende Gärten im Wolf. Das filmPolska-Festival macht unter anderem im Zeughauskino Station.

„Die kleine Ortschaft Loschwitz bei Dresden…“ (Zitat aus „Über Deutschland“ von Marina Zwetajewa) Foto: Reiner J. Nagel

D as Jahr 1910 verbrachte die später berühmte russische Dichterin Marina Zwetajewa als Siebzehnjährige bei einer Pfarrersfamilie in Loschwitz bei Dresden. 1919 – der Erste Weltkrieg, der Fall der Monarchie in Deutschland und die Oktoberrevolution in Russland haben Europa bereits nachhaltig verändert – sinniert Zwetajewa in literarischen Tagebucheinträgen noch einmal über diese Zeit nach, macht sich Gedanken über ihre Faszination für Deutschland. Es geht um Kultur, Seele und Pflichtbewusstsein; Zwetajewa liebt die Dichter, die Musik und: „An Deutschland lockt mich das Geregelte.“ Wichtig ist ihr das Verhältnis von Deutschland zu Frankreich, in etwas geringerem Maße auch die Unterschiede zwischen Deutschland und Russland.

Die Dichterin assoziiert, Sprache und Gedanken gleichermaßen, und daran knüpft der aus Österreich stammende, aber schon lange in Berlin lebende Regisseur Bernhard Sallmann in seinem neuen Film „Über Deutschland“ filmisch direkt an. Denn Sallmanns Essaydokumentationen bebildern nichts, sondern sie evozieren Gedanken, Stimmungen und Epochen der Geschichte.

Mit Bildern aus dem heutigen Dresden-Loschwitz, Gemälden romantischer Maler wie Ludwig Richter und Carl Gustav Carus sowie Illustrationen einer Ausgabe von Werken Heinrich Heines. Dazu spricht die Schauspielerin und Synchronsprecherin Judica Albrecht Zwetajewas Texte – im Gegensatz zu Sallmanns vorherigem Film „Havelland Fontane“, in dem Albrecht nur als Off-Stimme präsent war, ist sie diesmal auch zu sehen, oft in der winterlichen Kulisse des Elbtals.

Die Premiere des Films findet im Kino Krokodil in Anwesenheit der Teammitglieder statt, in den folgenden Wochen hat „Über Deutschland“ dann weitere Termine im Kino Krokodil, dem fsk-Kino und dem Acud (31.8., 20.30 Uhr, Kino Krokodil).

tazplan

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Britische Jugend

Der Roman „The Secret Garden“ von Frances Hodgson Burnett aus dem Jahr 1911 gehört zu den großen Klassikern der britischen Jugendliteratur, wurde für Kino und Fernsehen mittlerweile diverse Male verfilmt. Die bislang jüngste Version verlegt die vom Gefühl des Verlusts handelnde Geschichte in eine andere Zeit, bleibt der Handlung, den Themen und dem Geist der Vorlage aber durchaus treu: Die junge Mary (Dixie Egerickx) kommt nach dem Tod ihrer Eltern 1947 in den Wirren der Teilung von Indien und Pakistan nach England auf den düsteren Landsitz ihres Onkels, wo das bislang verwöhnte Mädchen tagsüber praktisch sich selbst überlassen ist. Den depressiven Onkel (Colin Firth), der über den Tod seiner Frau nicht hinwegkommt, sieht sie selten, und der bettlägerige Cousin Colin, ein eingebildeter Kranker, ist auch kein toller Spielkamerad.

Die Alternative zur beklemmenden Atmosphäre des großen Hauses ist der versteckte Garten, den sie beim Herumstromern entdeckt und den der britische Regisseur Marc Munden 2020 als eine überbordend üppige und berückend farbige Welt voller Fantasy-Elemente inszeniert, in der die Grenzen zwischen Marys kindlicher Fantasie und der Realität zusehends verwischen („Der Geheime Garten“, Kinderkino, ab 6 Jahren, 26.8.-1.9., 16.30 Uhr, Wolf Kino).

Polnisches Kino

Ein Teil des noch bis 1.9. in verschiedenen Berliner Kinos laufenden Festivals filmPolska ist die dem Regisseur Wojciech Jerzy Has gewidmete Retrospektive im Zeughauskino. Has' bekanntester und wohl auch ungewöhnlichster Film ist „Die Handschrift von Saragossa“ („Rękopis znaleziony w Saragossie“, 1964), eine Verfilmung des gleichnamigen Romans von Jan Graf Potocki, der von den surrealen Abenteuern eines wallonischen Offiziers mit maurischen Prinzessinnen, Gehängten und der spanischen Inquisition in der spanischen Sierra Morena im Jahr 1739 erzählt.

Berühmt ist Has' dreistündiges Werk vor allem für seine verschachtelte Erzählweise und die expressionistischen Bildwelten, die immer wieder viele seiner Kollegen weltweit faszinierte und inspirierte (29.8., 18 Uhr, Zeughauskino).

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Lars Penning
Lars Penning, geboren 1962. Studium der Publizistik, Theaterwissenschaft und der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft an der FU Berlin. Freier Filmjournalist. Buchveröffentlichungen: Cameron Diaz (2001) und Julia Roberts (2003). Zahlreiche filmhistorische und –analytische Beiträge für verschiedene Publikationen. Lebt in Berlin.
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