: Neu im Kino:
■ „Die Verlobung des M. Hire“ von P. Leconte
„Ich bin weder gesellig noch freundlich, das beunruhigt die Leute“, sagt der Mann mit der Halbglatze. Und: „Das Leben ist ekelhaft.“ Monsieur Hire (Michel Blanc) hat keine Freunde. Wenn er lacht, verzieht er nur kurz das Gesicht, und weiße Mäuse züchtet er obendrein. Sein Kontakt zu anderen Menschen beschränkt sich auf den Umgang mit Prostituierten und kleinen Kindern, die ihn ärgern. Monsieur Hire ist komisch.
Das genaue Gegenteil von ihm ist Alice (Sandrine Bonnaire). Sie ist fröhlich, jung und sehr schön. Kein Wunder, daß Monsieur Hire ihr gern zuschaut. Beim Entkleiden, beim Essen und Lesen. Er weiß selbst, daß er das nicht tun sollte, daß er die unwissende Frau benutzt. Doch ihr Fenster liegt genau gegenüber seinem, er kann nicht anders.
Patrice Lecontes neues Kinowerk Die Verlobung des Monsieur Hire ist purer Voyeurismus in Cinemascope. Doch Leconte hat es geschafft, Verständnis zu wecken und Einsichten zu vermitteln, denn der melancholische Monsieur Hire mit dem talkumgebleichten Gesicht gibt auch zurück. Liebe zum Beispiel - und Schweigen. Er hat einen Mord gesehen.
Die Verfilmung des Romans von Georges Simenon ist nicht geprägt durch einen Wust von Handlung, sondern durch das fragile, abtastende Umgehen fremder Menschen miteinander. Sogar der Kommissar, der Monsieur Hire den Mord anhängen will, ist von diesem Schlage. Er ist einfach da, wenn er glaubt, da sein zu müssen, in dieser Hinsicht unterscheidet er sich nicht von Monsieur Hire.
In achtzig Minuten entwickelt Leconte einen kompakten Spannungsbogen, atmosphärisch dicht und perfekt ausgeleuchtet. Die Farben des Films schwanken zwischen fahlen Brauntönen und Stahlblau, die der innerlichen Zerissenheit des Monsieur Hire angemessen Ausdruck verleihen. Beide Hauptdarsteller bestechen durch ihre Virtuosität, Michel Blancs devote Zurückgenommenheit ebenso wie Sandrine Bonnaires Wandlungsfähigkeit. Ihre Gesichter auf der Großleinwand lenken durch den Film, sie sind Liebe, Hoffnung, Angst und Begehren.
Der Grenzgänger Hire mag körperlich abstoßend wirken, aber seine Sinnlichkeit bis zur Selbstaufgabe geht ins Mark. Es ist, als könnten wir riechen, was er riecht, als könnten wir denken, was er denkt. Sein sanftes Streicheln fließt aus der Leinwand, die Intensität der Bilder umarmt die Kinosessel. Ach, könnten sie sich doch nur lieben bis ans Ende der Welt. Es geht nicht. Armer stiller Monsieur Hire. Jürgen Franck
Schauburg, 21 Uhr
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