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Neu auf der MuseumsinselDie Kunst beim Ablaichen

Heiner Bastian, ehemaliges Enfant terrible des Museums Hamburger Bahnhof, und seine Mitstreiter beziehen Galerie-Neubau auf der Museumsinsel.

Jonathan Meese ist nur einer von vielen prominenten Künstlern, die im Neubau ausgestellt werden. Bild: dpa

Ganz oben auf der Dachterrasse sitzt ein Bronzeadler und blickt auf das preußische Herz Berlins: auf das Alte Museum, die Kuppeln von Berliner, Deutschen und Französischen Dom und die Spitzen der Friedrichwerderschen Kirche, schließlich auf den Neubau des Deutschen Historischen Museums von I.M. Pei. Er habe einen Ort schaffen wollen, der "dem geistigen Zentrum Berlins standhält", sagt der Hausherr Heiner Bastian, früher besser als Kurator und Enfant terrible des Museums Hamburger Bahnhof bekannt.

Der Adler von Jonathan Meese auf der Dachterrasse ist ein Emblem des kühnen Projekts, auch wenn er nicht in Bastians Schauräumen im zweiten Stock zu sehen ist, sondern in der Sammlung der Medienmanagerin Christiane zu Salm, die ebenfalls in den Neubau am Kupfergraben eingezogen ist. Kühn ist, wie Meeses Adler die mythisch-hehren Ansprüche des alten Wappen- und Königsvogels ad absurdum führt: ein räudiges, schuppiges Ding, bei dem man kaum den Kopf ausmachen kann, schlechter jedenfalls als den riesigen schlaffen Phallus und eine pickelhaubenartig hervorstechende Brust. "ErzAdler, fischiges Reptilbaby beim Ablaichen" lautet sein voller Würdentitel.

Seit sich Bastian im Frühjahr im Streit von Berlins Museum für Gegenwart (das nach seiner Kritik keines ist) trennte, durften Kunstfreunde mit Spannung erwarten, wie er sein eigenes Haus bespielen würde. Gebaut wurde es direkt gegenüber der Museumsinsel von dem gleichen Architekten, der auch für das neue Empfangsgebäude für den Museumskomplex verantwortlich zeichnet - David Chipperfield. Und der Besuch lohnt sich tatsächlich nicht nur wegen des grandiosen Blicks, wie die sukzessive Eröffnung Ende letzter Woche gezeigt hat.

Hochkarätige Kunst auf allen Etagen: ganz oben Meese, Kurt Schwitters, Andreas Slominski und die diesjährige Trägerin des Preises für Junge Kunst, Ceal Floyer, in der Sammlung zu Salm, die sich auf Collagen konzentriert. Der britische Blockbuster Damien Hirst bei Céline und Heiner Bastian: Die Eröffnungsschau heißt "Void" nach der gleichnamigen Assemblage hunderter bunter Pillen in einem riesigen Edelstahlrahmen. Als weiteres deformiertes Symboltier findet sich hier ein Einhorn mit silbernem Skelettschädel und einem Nasenaufsatz, der eher an ein Kettensägenblatt erinnert. Schließlich die Räume der Galerie Contemporary Fine Arts im ersten Stock und Erdgeschoss: Sie sind dem österreichischen Zeichner, Bildhauer und Architekten Walter Pichler gewidmet, der in den 60er-Jahren mit konzeptuellen Arbeiten an der Schnittstelle der Bau-Kunst bekannt wurde. Pichler arbeitete unter anderem mit dem Architekten Hans Hollein zusammen und erhielt bereits 1975 eine Einzelausstellung in New Yorks Museum of Modern Art. Große Ausstellungen macht er nach Angaben der Galerie heute aber nur noch selten.

Ist das die Vorwegnahme von Berlins derzeit heiß debattierter Kunsthalle oder die Rache am Hamburger Bahnhof? "Nein, das hier ist keine Reaktion gegen irgendetwas. Es gibt kein Konzept für dieses Haus, sondern ein völlig offenes Programm, das nicht auf die Berliner Museumslandschaft abgestimmt ist. Wir sprechen uns auch untereinander nicht ab, was jeder zeigt", versichert Bastian. Mit Peter-Klaus Schuster, dem Generaldirektor der Staatlichen Museen, habe er sich außerdem wieder ausgesöhnt.

Die Impulse, die vom Kupfergraben künftig für die Gegenwartskunst ausgehen, dürften daher gerade in ihrer erratischen, subjektiven Qualität liegen. Zudem wird man hier sicher kein weiteres Schaufenster für die jüngste, aktuellste Kunst finden. "Trotz der großen Quantität des Produktionsstandortes Berlin gibt es nur wenige junge Künstler mit einer eigenen Stimme", sagt Bastian, der im Anschluss an Damien Hirst im Frühjahr Anselm Kiefers "Heroische Sinnbilder" zeigen will.

Contemporary Fine Arts plant ab Januar eine Doppelausstellung mit Georg Baselitz und wiederum Jonathan Meese, zu den übrigen Künstlern der Galerie gehören international etablierte Namen wie Daniel Richter, Jörg Immendorff, Sarah Lucas und Peter Doig. Insgesamt ist daher eher eine Bühne für handverlesene, edel präsentierte Kunst zu erwarten.

Contemporary Fine Arts unterstreicht mit dem Sprung aus den alten Räumen in den Sophie-Gips-Höfen in die museumsartigen, lichtdurchfluteten Chipperfield-Säle insgesamt den Status als eine der führenden Berliner Galerien. Die Galerie konnte sich mit dem Umzug an den Kupfergraben personell und räumlich verdoppeln. In den letzten Jahren führte sie ein gut gehendes Geschäft mit sprunghaft wachsenden Gewinnen - in der zuletzt im Handelsregister ausgewiesenen Jahresbilanz 2005 findet sich ein Jahresüberschuss von rund 1,5 Millionen Euro.

Eine Expansion in andere Städte ist derzeit allerdings nicht geplant und ohne die regelmäßige Teilnahme an den Messen in Basel, Miami etc. könnte man trotz der wachsenden Käuferschicht in Berlin nicht wirtschaften, sagt Chefin Nicole Hackert. Der Vergleich mit großen Zürcher, Londoner und New Yorker Galerien wie Haunch of Venison, Hauser & Wirth und Gargosian wäre also derzeit noch unfair. Doch für Berlin findet man hier ein Musterbeispiel für das anspruchsvollere, potentere und glamourösere Image, das die Kunstmetropole neuerdings verstärkt sucht - nicht nur Contemporary Fines Arts mag hierfür stehen, sondern das gesamte neue Kunstdomizil, das sich so provokant selbstbewusst auf Augenhöhe mit dem alten Spree-Athen niedergelassen hat.

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