Netzagenturchef über Stromausbau: "Im Vorgarten gibt es keine Masten"
Ob 4.000 Kilometer neue Stromleitungen gebraucht werden, ist noch nicht entschieden, sagt Netzagentur-Chef Matthias Kurth. Erst mal prüfen, wie viel Strom wir brauchen.
taz: Herr Kurth, kein Teil der Energiewende läuft so schleppend wie der Bau neuer Stromleitungen. Wie viel Zeit bleibt noch?
Matthias Kurth: Gerade diejenigen, die die Energiewende wollen, müssen uns jetzt beim Ausbau der Netze unterstützen. Wir fördern die Erneuerbaren stark, sowohl die Windenergie als auch die Solarenergie, und dann wollen wir natürlich auch, dass die Erneuerbaren ihren Strom ins Netz liefern. Die Netzagentur stellt aber mit Sorge fest, dass bereits heute in Starkwindzeiten Windräder abgeregelt werden müssen, die ihren Strom nicht einspeisen können.
Woran liegt es denn, dass der Netzausbau stockt?
59, ist Präsident der Bundesnetzagentur. Die Behörde regelt den Wettbewerb auf den monopolgefährdeten Märkten für Strom, Gas, Telekommunikation, Post, Bahn.
Viele Bürger sagen, wir sind für den Kernenergieausstieg, aber wenn es um den Netzausbau vor Ort geht, lässt die Zustimmung deutlich nach. Das geht nicht, wir werden schon zahlreiche weitere Trassen brauchen.
Die Energiebranche fordert 4.000 Kilometer neue Leitungen. Ist das übertrieben?
Das werden wir noch einmal untersuchen. Wir bereiten im Moment den Netzentwicklungsplan vor, mit dem wir die Grundlagen ermitteln, wo in den nächsten zehn Jahren neue Leitungen gebaut werden.
Diese Grundannahmen konnten die Bürger bis Ende August kommentieren …
… wobei wir etwa 100 Eingaben bekommen haben. Und ich kann jeden beruhigen: Wir werden auch alle Alternativen zu herkömmlichen Stromübertragungstechniken prüfen - etwa die Gleichstromübertragung, mit der sich über eine Leitung mehr Strom über längere Strecken transportieren lässt.
Wenn man den Bürgern erklärt, wozu die Leitungen gut sind, werden sie 60-Meter-Masten im Vorgarten dulden?
Also im Vorgarten gibt es sowieso keine Masten. Wir müssen die Verhältnisse mal geraderücken: Selbst wenn wir über 3.000 oder 4.000 Kilometer Leitungen reden würden, ginge es ja nur um 10 Prozent des heutigen Übertragungsnetzes. Wir sind ein Industrieland. Wir haben auch zum Beispiel entlang der Autobahnen Freileitungen, die über Jahrzehnte hinweg akzeptiert waren.
Kontra bekommen Sie auch von den Betreibern der Netze, deren Renditen Sie festlegen und jetzt kürzen wollen. Die Firmen drohen mit einem Baustopp.
Es ist bisher in Deutschland kein einziges Leitungsbauvorhaben an mangelnder Rendite gescheitert. Wir regeln doch, welche Kosten die Netzbetreiber auf den Strompreis umlegen dürfen. Der Netzausbau kommt vielmehr deshalb nicht voran, weil es meist keine Genehmigungen der Planfeststellungsbehörden gibt. Dort, wo Genehmigungen vorliegen, wie bei der Anbindung von Windparks, wird sofort gebaut.
Die Stromkonzerne argumentieren, dass Kapital für die Netze in Deutschland fehlen werde. Fondsmanager finanzieren lieber britische oder italienische Leitungen, mit denen sie wohl höhere Renditen erzielen.
Ach, man muss nicht immer alles glauben, was behauptet wird. Ein Ärzteversorgungswerk und andere Investoren haben sich gerade erst am Netz von Amprion beteiligt. Für sichere Anlagen gibt es eben etwas weniger Rendite. Für deutsche Staatsanleihen bekommen Sie inzwischen auch nur noch 1,4 Prozent Zinsen. Für eine Netzinvestition erhalten die Betreiber über 9 Prozent Rendite auf ihr Kapital, obwohl gerade die Regulierung ein hohes Maß an Sicherheit garantiert. Die Netzagentur ist auch ein Anwalt der Verbraucher. Wir müssen dafür sorgen, dass die Energiewende nicht zu teuer wird und nur effiziente, marktübliche Kosten und Renditen anerkannt werden.
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