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Netz-Debatte alter MedienDie Angst, ein Werkzeug zu sein

Die FAZ veröffentlicht ein neues Manifest zur Zukunft des Internets. Wir werden ihr für ihre etwas rückwärts gewandte Netz-Kritik noch dankbar sein.

Hammer oder Hamlet? Die FAZ bevorzugt Shakespeare. Bild: Hartwig HKDCC-BY-ND

BERLIN taz | Der Wunsch der Netz-Kritiker ist immer derselbe: Das Internet solle endlich das tun, was wir von ihm verlangen, "richtig funktionieren". So beginnt auch das Manifest über "Die Zukunft des Internets", das David Gelernter für die Sonntagszeitung der FAZ schrieb. Im Vorspann ist die Rede von einem unbändigen "Fluss aus all den Informationen" und David Gelernter fragt ganz im Sinne des FAZ-Herausgebers Frank Schirrmacher, "was wir tun könnnen, um nicht in ihm zu ertrinken".

Spätestens mit Schirrmachers Buch "Payback" ist die FAZ ist zum "Zentralorgan der Nerds" geworden, ein Wiki für alle, die etwas über das Internet schreiben wollen. Constanze Kurz vom CCC hat ihre eigene Kolumne bekommen, weitere Aktivisten werden folgen. Internet-Haudegen bloggen bei faz.net über ihre Angst, die Kontrolle über die eigene Netz-Identität zu verlieren. Und zehn Jahre nach seinem letzten Manifest meldet sich nun auch der Internet-Pionier und -Kritiker David Gelernter wieder zu Wort und umschreibt die Angst der FAZ, zum Werkzeug der Technik zu werden.

In 19 Thesen umreißt er die Auswirkungen der zunehmenden Informationsflut: "Virtuelle Universitäten" werden bis auf wenige Ausnahmen die altgedienten Bildungsstätten ablösen, Großbildrecher die Büros zieren, vor denen man in zwei-Meter Entfernung komfortabler und augenschonender arbeiten kann. Bisher sei das Internet jedoch vor allem eine "Maschine zur Verstärkung unserer Vorurteile": wir suchen uns die Dinge, die wir schon kennen und fühlten uns so in unserer Meinung bestätigt.

Im Netz fließen die Informationen in einem reißenden Strom der "Jetzigkeit". Vor dem Ertrinken wird uns nach David Gelernter eine individuelle "Wolke" bewahren – eine private Datensammlung, die über uns kreist und uns bei Bedarf mit gewünschten Informationen versorgt. Von "Cloud Computing" sprach er bereits in seinem Manifest von 2000, als Orientierungs- und Filterhilfe in den unendlichen Datenwelten. Die Wolke ist David Gelernters nebulöse Antwort auf das Unbehagen der FAZ gegenüber dem Internet. Wie lässt sich nun mit diesem Unbehagen umgehen?

Bereits zwei Jahre zuvor, im Juni 1998, äußerte sich der Philosoph Slavoj Zizek in einem Interview bei Telepolis zu diesem Problem. Ein Interview, das man trotz des hohen Alters noch einmal lesen sollte. Laut Zizek kann man dem Internet gegenüber verschiedene Haltungen einnehmen: erstens die "paranoide", die vor Autonomieverlust warnt. Zweitens die einer "perversen Befreiung", also die Hoffnung, das Netz könne uns von der patriachalen Autorität befreien. Und drittens sind da noch jene "New Age"-Jünger, die der totalen Faszination des Phänomens erliegen.

Aus ihnen würde David Gelernters "ideale Internetkultur" bestehen: Sie wäre "von Jetzigkeit überflutet wie eine Strandpromenade vom Meerwasser", alle sprächen, dächten und kleideten sich gleich. Gegen sie hat es auch Frank Schirrmacher besonders schwer. David Gelernter hofft, dass einmal ein "gut gemachter historischer Strom" diese Welle der "Jetzigkeit" begleiten werde.

In diesem Nebenfluss würden sich die Hysteriker tummeln. Die Hysterie ist Zizeks vierte Einstellung gegenüber dem Cyberspace: Hysterie ist die Angst davor, ein Werkzeug des Anderen zu werden. Sie führt zum Hinterfragen, zum Zweifel und ist damit Grundbedingung jeder Kritik: "Der erste Schritt in Richtung Subversion ist exakt der, den hysterischen Zweifel neu einzuführen", so Zizek.

Ohne diesen Zweifel gibt es kein Innehalten mehr, sondern nur noch die Logik der Jetzigkeit. Und gelegentlich, schreibt auch David Gelernter, müssen unsere Gedanken die Rationalität überwinden, "umherschweifen und sich verwandeln, wie sie es auch im Schlaf tun". Wir werden der FAZ für ihre Hysterie noch dankbar sein.

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5 Kommentare

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  • FM
    Frederic Moreau

    Was das Zizek-Interview mit der "Jetzigkeit" Gelernters zu tun haben soll, erschließt sich mir trotz mehrfacher Lektüre nicht.

     

    Damals, also vor 11 Jahren (!!), ging es um verschiedene Identitäten (Verkörperungen, Hysterien) im Cyberspace und ihre Stellung zur "realen Realität" (Zizek). Die aktuelle Debatte um Cloud-Computing, Informationsmassen und das Schirrmacher-Buch spielt sich dagegen vor dem Hintergrund der etablierten Netzwerke ab. Es geht um die Zukunft der Lektüre, die Enteignung der Textproduzenten u.ä. Die Verwaltung der Online-Identitäten ist heute vornehmlich ein Thema für Jugendliche, Rentner und Datenschützer.

     

    Kurz, das Zizek-Interview ist interessant (danke für den "Link"), hat aber inhaltlich nichts mit der aktuellen Debatte zu tun. (Außer man labert halt solange rum, bis sich ein Zusammenhang - hier: "Das Internet tut nicht, was ich will" - einstellt.)

  • D
    Dirk

    @Anne: Ich glaube nicht, dass das Internet "darauf ausgerichtet (ist) gezielt Informationen zu bündeln." Das Problem ist ja gerade, dass in der Jetzigkeit die Information, was es zu essen im Imbiss an der Ecke gibt, neben dem Erdbeben in Chile steht.

     

    Distanz schafft Relevanz!

    Das gilt für das Tagesgeschehen genau so, wie in der Geschichtsschriebung.

  • A
    Anne

    Interessanter Artikel, sauber und verständlich formuliert, ausgewogene Betrachtung. Kompliment, und mehr davon!

     

    @Martin: Hm. Das Internet befördert weniger intuitive Wahrnehmung und Verhaltensweisen, ist stark darauf ausgerichtet gezielt Informationen zu bündeln. Mir persönlich passiert es auf dem Weg zum Zeitungsverkäufer, oder eben genau dort eher, dass ich auf etwas unerwartetes stoße. Oder dass ich in einer Zeitung eben versehentlich doch mal einen Blick in eine Rubrik werfe, die ich gezielt nicht gesucht hätte...

     

    @Uwe: Anscheinend verlässt einen die Fähigkeit bildhaft zu formulieren auch dann nicht, wenn man sich primär mit Computer Wissenschaft befasst.

  • M
    Martin

    Sehr guter Artikel, gerne etwas laenger und verstaendlicher ;)

     

    Und ist die Tatsache, dass ich auf der "linken" Internetseite der taz bin, nicht schon die Bestaetigung dafuer, dass ich mir aus diesem Fluss nur die mir gefaelligen Stroemungen aussuche?

     

    Jedoch: war das mit den Zeitungen frueher anders?

     

    Und: sollte es nicht spaetestens seit Adorno anders sein? Hihi.

  • US
    Uwe Sak

    ZITAT: Im Netz fließen die Informationen in einem reißenden Strom der "Jetzigkeit". Vor dem Ertrinken wird uns nach David Gelernter eine individuelle "Wolke" bewahren ZITATENDE

     

    Wie viel muß man eigentlich getrunken haben, um so etwas zu verfassen?