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■ Urdrüs wahre KolumneNetter geht's besser

Apportieren wir als spurensuchende Kampfhunde des Heimatjournalismus schnell noch mal eine Begebenheit aus Bremerhaven, die in der vorigen Woche wg. Platzmangels auf die Kackwiese geworfen werden musste: In der dortigen Gaststätte Blue Moon werden die Gästinnen derzeit zur Hausfrauenwoche gerufen, als deren Höhepunkt Männerstrip angekündigt wird, wobei die Stammgäste des Hauses gegen „Saufschein über 50 Mark“ als Protagonisten auftreten sollen. Was aber den zur Teilnahme aufgeforderten Bierchentrinker auf dem Tresenhocker zum knappen, doch deutlichen Statement veranlasst: „Neee. Die verrechnen das sowieso nur mit meinem Deckel. Und saubere Unterhosen muss ich mir dann auch noch besorgen...“ Eine feinsinnig-feinrippige Überlegung, die ein Schlaglicht auf das Ausmaß der Verelendung in Bremens ungeliebter Schwesternstadt wirft.

Der evangelikale Soapbox-Prediger Jens Motschmann muss den politischen Triefsinn seiner Legosteinchen-Theologie zum Entsetzen seiner Amtsbrüder immer wieder öffentlich machen – da kann er nicht anders, ganz wie der Exhibitionist, der seine Blöße in ihrer ganzen Dürftigkeit immer wieder zum Mittelpunkt des allgemeinen Interesses machen will. Als Vorsteher des Bundes gegen Kirchensteuermissbrauch zetert er dieser Tage wieder gegen sozialis-tische, feministische und spirituelle Irrlehren in der Kirche und erinnert so recht an den alten Bock im Lutherrock, mit dessen Schweißtropfen die zwanghaft Antireligiösen um den traurigen Herrn Deschner und seine Herde sowie die Laberköppe vom Schlage TV-Fliege besprenkelt und geweiht werden. Möge der Martini-Comedian doch bitte weiterhin seiner Fan-Gemeinde mit dem schmierigen Konserven-Vatis-Mus die Oblate bestreichen und es ansonsten dem Zebaoth überlassen, wen Er vom guten Hirten aus der Herde jagen lässt: Dem Thomas Müntzer hat Er immerhin, drauf und dran, den Regenbogen an den Himmel gesetzt!

Ausgerechnet jetzt kommt die Nachricht vom Siechtum des Güterverkehrs in Regie der Farge-Vegesacker Eisenbahn. „Halte durch“, beschwören wir die wackeren Betreiber, denn die Götterdämmerung des Automobilismus, sie hat endgültig begonnen. Erste Anzeichen dafür gab es, als der Maultaschen-Citoyen Rezzo Schlauch von den Grünen sich für die rasende Individualität erklärte und sein Kollege Jürgen „Weniger“ Trittin dem Autokanzler in Sachen Europa-Auto in die Gesäßfalte schlüpf-te. Und weiter geht es jetzt mit der Kannibalisierung des Automobilismus: An diesem Wochenende werden wir ihn vielleicht schon erleben dürfen, den ultimativen Stau im närrischen Gefecht der Lemminge für Sprit umsonst und Straßen ohne Grenzen. Sollen die Herren Deutsch-Trucker nur mit Tom Astor und Gunter Gabriel dies Land lahmlegen, das eh nicht unsres ist. Mögen die Pfiffikusse von der Agrarfront ihre Trecker so platzieren, dass in der Nacht zum Sonntag weder zwei- noch vierbeiniges Jungwild in extremer Paarungswilligkeit beim Disko-Hopping über die Dörfer zu Tode kommt, weil auch auf den Straßen 2. und 3. Ordnung nichts mehr läuft: Das Neue Zeitalter der Bahn, es leuchtet schon rosarot am Firmament und wir fahrradfreundlichen und lokomotiv-faszinierten Epikuräer, wir müssen nur noch zuschauen, wie die Dinosaurier sich wechselseitig blockieren und frustrieren, bis der Spuk am Autofriedhof dereinst sein wohlverdientes Ende findet. Ökosteuer, Ölscheichs, Spritkonzerne und jetzt auch Ihr Spediteure und Traktoristen – ich liebe euch! Und wenn morgen die Welt unterginge, ich würde heute noch ein Stückchen Schiene auf der alten Jan-Reiners-Strecke von Findorff ins Teufelsmoor pflanzen, die Straßenbahngleise nach Borgfeld begießen und die Linien 2, 3 und 10 bis Oslebshausen oder Burg verlängern...

Nun doch keine Juxtour der bremischen Sportdeputation nach Portugal? Wie will man da jetzt künftig noch Interessenten für die eher mäßig bezahlten Jobs in der Deputation finden? Freikarten für Werder oder Eiche Horn, den FC Oberneuland oder die öffentlichen Hallenbäder? Im Sinne der moralischen Aufrüstung und der Kompensation empfehlen wir eine Einladung der Damen und Herren zum Bunten Abend ins Vereinsheim von „Use Akschn“ oder Eisenbahnersportverein „Blau Weiß“. Ich werde mich bei Interesse um ein Sponsoring für Flaschbier und lecker Hackepeterbrötchen, Korn und Edelkirsch bemühen und mit meiner Tastenvirtuosin Frollein Susi singen wir dann zur Quetschkommode die schönen alten Lieder: „Rosamunde“, „La Paloma“ und „Dass wir die Bremer sind/das sieht doch jedes Kind“. Vielleicht kommt ja auch noch der ewige Präsident Dieter Klink auf einen Schlenderschluck vorbei und wir kucken uns zusammen die schönen alten Videos vom Catchen in der Stadthalle und von Werders Meisterfeier an!

Netter geht–s besser, weiß nur allzugut

Ulrich „Autofrei“ Reineking

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