: Nett verpackte Biologismen
■ betr.: „Kohls energisches Kinn und Scharpings männlicher Bart“, taz vom 18. 10. 95
Wenn Wahlkampfslogans in den Neunzigern aus „Politik ohne Bart“ statt Inhalten bestehen, mag das als Erfolg für die MaskenbildnerInnen der politischen Klasse gelten. Wenn ein solcher Gestenausstatter wie Walther Keim seine Kenntnisse an der Uni als Expertenwissen verkauft, können sich aufstrebende Studierende zumindest über verwertbares Wissen freuen, zumal die Zeiten für Gesellschaftswissenschaften ansonsten ja bekanntlich denkbar schlecht sind.
Weisheiten wie „seine hohe, breite und makellose Stirn verrät den Scharfsinn“ werden da gelehrt und krönen das Fach mit affirmativem Kitsch. Wer dann auch noch zwischen Körpersprache und Physiognomie – dem Versuch, genetisch bedingte Gestaltungsmerkmale des Körpers auf Charakter und Fähigkeiten zu übertragen und daraus eine Wissenschaft zu machen – nicht unterscheidet, ist nicht nur unpräzise oder nachlässig, sondern gefährlich. Bei durchweg nett verpackten Biologismen müssen nicht erst wieder krumme Nasen unheimliche Geldgier verraten, um Diskriminierung zu legitimieren. Jens Petz Kastner, Münster
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