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Netanjahu hat den deutschen Außenminister nicht empfangen. Das lieSs der nicht so einfach auf sich sitzenDie vielen Opfer des Holocaust

Foto: Nane Diehl

German Angst

Sonja Vogel

Sigmar Gabriel konnte es nicht lassen. Zuerst legte er es darauf an, von Benjamin Netanjahu ausgeladen zu werden – und wurde nicht enttäuscht. Politik eben. Aber Gabriel musste noch etwas nachschieben. Schließlich steckt in der moralischen Überlegenheit Deutschlands viel Arbeit.

Vorneweg: Die Arbeit der NGOs „B’Tselem“ und „Breaking the Silence“, wegen deren Besuch Netanjahu Gabriel auslud, kann man für gut halten oder für schief. Solange ihr Engagement erlaubt ist, ist das egal. Und das macht Israel trotz Netanjahu aus: Pluralismus. Platz für Organisationen, die die Regierung oder deren Siedlungspolitik kritisieren. Das unterscheidet den Staat von anderen der Region.

Für die FR schrieb Gabriel nun aber einen gekränkten Gastbeitrag, der die verquere Überheblichkeit zeigt, mit der ein geläuterter Deutscher die Israelis belehrt. Nicht trotz, sondern wegen Auschwitz. Deutschland nämlich hat aus der Schoah gelernt. Im Gegensatz zu Israel – das ist die Grundannahme. Darum darf, nein, muss Deutschland Israel kritisieren.

Und so macht sich Gabriel – ganz besoffen davon, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen – gleich zum ersten Opfer der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik: „Sozialdemokraten waren wie Juden die ersten Opfer des Holocaust.“ Das hat der deutsche Außenminister geschrieben. Nachdem sich einige fassungslos zeigten, bedauerte das Auswärtige Amt: „Es muss heißen: ‚der Nationalsozialisten‘.“

Vielleicht hatte es der Außenminister so gemeint, vielleicht war es ein Freud’scher. So wie im Spiegel: „Die historisch bedingte Sonderbehandlung Israels stößt mit der Regierung Netanyahu an ihre Grenzen.“ Ups, „Sonderbehandlung“, auch so ein Wort für die Judenvernichtung.

Doch nicht genug. Gabriel behauptete weiter, als „Botschafter der Wertegemeinschaft des Westens“ gekommen zu sein. Ganz so, als hätte Israel da eine Lektion nötig. Als wäre dem Land, das erst wegen der Schoah gegründet wurde, diese „Wertegemeinschaft“ äußerlich. Gabriel wird sich gedacht haben: Sicher kann Israel noch Tipps gebrauchen, so als einsame Demokratie im Nahen Osten, umzingelt von Staaten und Terrorgruppen, die die Juden lieber im Meer sehen. Die Konsequenz? „Es ist an der Zeit, dass sich die Europäer – und die Deutschen – Israel und Palästina heute wieder verstärkt widmen.“ – Eine Drohung? Grobe Arroganz?

Man kann jedenfalls nur hoffen, dass Gabriel nicht auch ein Gedicht schreiben wird. Das wird dann nichts mit Juden zu tun haben, sondern mit Israel. Apropos. Vor einer Woche erschien der Bericht der Expertenkommission für Antisemitismus. Dem zufolge geht der klassische und sekundäre Antisemitismus zurück – die Behauptung, Juden profitierten vom Holocaust oder die Relativierung durch die eigene Viktimisierung („die Sozialdemokraten“). Derweil nimmt der israelbezogene zu – der Vergleich Israels mit dem NS-Regime oder die Dämonisierung als „Apartheidregime“ (Sigmar Gabriel, 2012). 40 Prozent der Befragten zeigten sich hier anfällig. Gabriel ist also in guter Gesellschaft. Und das weiß er auch.

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