■ Neonazis verbreiteten Listen mit Namen ihrer Feinde: Wer hat Angst vorm braunen Mann?
Sie beobachten mißliebige Zeitgenossen, fotografieren sie, notieren ihre Autokennzeichen, schreiben die Adressen auf und versenden vierzigseitige „Fahndungslisten“. Zum Stückpreis von zehn Mark können Rechte nachblättern, wen in der Republik sie „abschießen“ dürfen. Neonazis aus Nordfriesland brechen zu einer Tagestour nach Rüsselsheim auf und jagen einen linken Jugendclub in die Luft. Ganz effektiv und schnell zuschlagen. In diesem Sinne ist der Einblick als Kompendium unter der Überschrift „Menschenjagd leichtgemacht“ zu verstehen. An den Rand der Verzweiflung werden solche Aktionen die Staatsanwaltschaften bringen, jedenfalls werden die es so sagen. Die Aufklärungsquote, so ist schon heute abzusehen, liegt bei null.
Die Rechnung der Rechten mag aufgehen, wenn in der kommenden Zeit auch nur wenige Anschläge nach der vorliegenden Anweisung verübt werden. Denn vielen Neonazis wäre nichts lieber als der Ruf, eine militante Untergrundorganisation zu sein. Einige Gruppen warten bereits darauf, als rechte RAF Stimmung zu verbreiten. Ihr Handlungsprinzip fußt auf Angst, Medienpräsenz und Terror. Angst haben sie bereits in großem Maße verstreut, in der Presse dürfen sie sich bester Aufmerksamkeit erfreuen.
Der Terror findet derzeit noch vereinzelt und vor allem regional begrenzt statt. Rechte Kämpfer schlagen in Weimar linke Hausbesetzer ins Krankenhaus. In Schwedt wurde die Familie eines Lokaljournalisten massiv bedroht. Opfer und Täter sind einander bekannt, die Gefahr bleibt abschätzbar. Sie muß es auch, denn auf polizeiliche Hilfe ist in ostdeutschen Städten noch nie Verlaß gewesen. Vielleicht ist solch lokaler Terror auch ein Grund, warum aus Ostdeutschland nur ein einziger „Gegner“ auf der Liste steht. Wahrscheinlicher ist aber, daß die Ostdeutschen noch nicht flächendeckend an die braune Computerinfrastruktur angeschlossen sind. Auch diese Fragen hätten schon längst von den entsprechenden Behörden beantwortet werden müssen. Statt dessen verweisen diese auf das undurchdringliche Netz der braunen Mailboxen, zu denen sie keinen Zugang finden. Peinlichkeiten, Pleiten und Pannen am laufenden Band. Die Sicherheitsbehörden, die immerhin mit exzellentem Gerät ausgestattet sind, stellen sich ein Armutszeugnis nach dem anderen aus. Es kann nicht angehen, daß die Bundesanwaltschaft vor den Presseveröffentlichungen am Donnerstag nicht von der Existenz der Liste wußte, daß diese unbemerkt neun Tage in der Szene zirkulieren konnte. Es darf nicht sein, daß Strafanzeigen von Opfern, die bedroht oder zusammengeschlagen wurden, nach kurzer Zeit eingestellt werden.
Sicher, die Polizei kann nicht allen 250 Personen und Institutionen, die auf der Liste stehen, rund um die Uhr Schutz gewähren. Aber jeder, der eine Gefährdung vorweisen kann, sollte unbürokratisch und schnell den einfachsten Schutz erhalten: eine Sperre im Einwohnermelderegister und eine neue Telefonnummer. Angesichts der Trägheit, mit der Behörden reagieren, sind direkte und anonyme Aktionen notwendig, mit denen die Kommunikationsbasen der Rechten lahmgelegt werden. Vorschläge sehr erwünscht! Annette Rogalla
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