Neonazimarsch in Prag verhindert: Gesperrtes Ghetto
1.500 Polizisten und über 1.000 Demonstranten stoppten am Samstag einen Aufmarsch von Rechtsradikalen im jüdischen Viertel von Prag. Dabei kam es zu Schlägereien.
Prags Oberbürgermeister Pavel Bem zeigte sich erleichtert: "Wir haben alles, was nötig war, getan, um zu verhindern, dass der Jahrestag der Kristallnacht zur Propaganda einer extremen Bewegung missbraucht wurde," erklärte er, nachdem am Samstagabend wieder Ruhe an der Moldau eingekehrt war. Tagsüber war es vereinzelt zu Krawallen gekommen, als Autonome in der Prager Altstadt Jagd auf Skinheads machten. Rund 1.500 Polizisten sorgten allerdings dafür, dass es nicht zu größeren Ausschreitungen kam. Vor allem dadurch, dass sie den größten Teil der rund 400 Neonazis daran hinderten, überhaupt in die Nähe des ehemaligen Jüdischen Ghettos zu gelangen.
Eine Gruppe von etwa 30 Neonazis schaffte es jedoch bis in die Altstadt. Dort wurden sie von rund 1.000 linken Antifas und mehreren hundert Tschechen, von denen einige sich einen gelben Davidstern auf ihre Mäntel geheftet hatten, in Empfang genommen. Zwischen Moldauufer und der Prachtmeile Paríþska kam es zu Ausschreitungen, als die Skinheads die Gegendemonstranten mit einem überzeugten "Sieg Heil" begrüßten und einer der Rechtsextremen mit einer Gaspistole in die Menge schoss. Er wurde vor laufenden Kameras krankenhausreif geschlagen. An Waffen stellte die Polizei mehrere Dutzend Gaspistolen, Schlagstöcke und Messer fest. "Insgesamt wurden 296 Personen festgehalten", sagte der Prager Polizeichef Petr Zelasek. "Davon", so Zelasek, "196 Ausländer, vor allem Slowaken."
Aber auch Deutsche waren an diesem hässlichen nassen Samstag nach Prag gekommen. Mindestens zwei Busse voller Neonazis hatte die tschechische Polizei am Vormittag von der Grenze bis nach Prag eskortiert. Weitere kamen, als alles vorbei war: Erst gegen 21 Uhr seien Rechtsextreme aus Sachsen eingetroffen, sagte Polizeichef Zelasek. Da war auch schon die letzte Schlacht gelaufen. Die lieferten sich gegen 19 Uhr autonome Demonstranten in der Nähe des Wenzelsplatzes mit der Polizei. Dabei kam es zu einer Handvoll Verletzten, 39 Demonstranten wurden festgenommen, unter ihnen mindestens 10 Deutsche.
Jetzt freut sich Tschechiens konservativer Innenminister Ivan Langer. "Die Aktion war ein Erfolg, die die gute Zusammenarbeit innerhalb der Polizei unter Beweis stellte", sagte er. Tatsächlich hatte der Staat am Samstag mächtig aufgefahren: Hubschrauber und Panzerwagen, berittene und behelmte Einsatzkräfte wachten über die Prager Altstadt.
Das Jüdische Viertel, die Josefstadt zwischen Moldau und Altstädter Ring, war von Bereitschaftstruppen hermetisch abgeriegelt worden. Sehr zum Unverständnis eines US-amerikanischen Touristen, der seinen Reiseführer hilflos zwischen den Uniformen schwang. "Wie komme ich denn jetzt zum Jüdischen Friedhof?"
Über Wochen hinweg hatte sich die Sache hochgeschaukelt. Neonazis der "Mladi národní demokrate", der "Jungen Nationaldemokraten" hatten schon im Spätsommer für den 10. November, dem 69. Jahrestag der "Reichskristallnacht", eine Demonstration im Jüdischen Viertel angemeldet. Offiziell, um gegen die tschechische Präsenz im Irak zu protestieren.
Mit einer Bürgerwehr wollte die jüdische Gemeinde auf die Provokation von rechts reagieren. Während Staatspräsident Václav Klaus zur Zivilcourage aufrief, überlegte Verteidigungsministerin Vlasta Parkanova, die Armee einzusetzen. Mehr noch als die Skinheads fürchtete man die internationale Blamage.
Zum Schluss kam es weder zum einen noch zum anderen. Während die Jüdische Gemeinde in der Prager Altstadt an die Pogrome von 1938 erinnerte, mussten die Nazis draußen bleiben. Draußen, in der Vorstadt Vysocany. Dort, zwischen Eishockeystadion und brachliegenden Fabriken, löste die Polizei die Nazi-Demo auf, bevor sie überhaupt begonnen hatte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!