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Neonazi-Aufmarsch in Bad NenndorfRechtsextreme dürfen trauern

Verwaltungsgericht erlaubt rechtsextremen "Trauermarsch" in Bad Nenndorf. Gegenaktionen bleiben verboten: Von den Teilnehmern sei Gewalt zu erwarten.

Steht nun wieder an: Rechtsextreme trauern am1. August 2009 in Bad Nenndorf. Bild: dpa

Das Verwaltungsgericht macht es möglich: Seit Donnerstagabend ist der sogenannte "Trauermarsch", den Kameradschaften und andere militante Rechtsextreme für die "Opfer alliierter Kriegs- und Nachkriegsverbrechen" im niedersächsischen Bad Nenndorf ausrichten, wieder erlaubt. Einen Eilantrag gegen das Verbot einer Gegendemonstration lehnte das Gericht allerdings ab. "Ein skandalöses Urteil", sagt der Vorsitzende des DGB Niedersachsen-Mitte, Sebastian Wertmüller, im Namen des Bündnisses "Bad Nenndorf ist bunt". Man habe "Rechtsmittel eingelegt".

"Was für ein Signal", zeigt sich auch Jürgen Übel bestürzt. Der Apotheker aus Bad Nenndorf ist Mitbegründer des Bündnisses, das seit Jahren versucht, kreativen Protest aus der Mitte der Gesellschaft gegen den braunen "Trauermarsch" durch den Kurort auf die Beine zu stellen. "Diese Entscheidung wirft alle Bemühungen zurück. Das ist eine Ohrfeige für alle Demokraten."

Vergangene Woche hatte der Landkreis Schaumburg sowohl den Neonazi-Umzug als auch die Gegenaktion des Bündnisses mit fast wortgleichen, äußerst strengen Auflagen belegt (taz berichtete). Dagegen legten sowohl das "Gedenkbündnis" um Sven Skoda und Marcus Winter wie auch der DGB Einspruch ein - prompt verbot der Kreis einfach beide Veranstaltungen. "Nach Polizeierkenntnisse wäre mit über 250 gewaltbereiten autonomen Nationalisten und etwa 500 gewaltbereiten Linksextremen zu rechnen", erklärte Ordnungsdezernentin Ursula Müller-Kratz auf taz-Anfrage - zudem habe die Polizei nicht genügend Kräfte vor Ort.

Der Aufmarsch

"Eine Handvoll couragierte Deutsche" sollen es gewesen sein, die laut den Ausrichtern im Mai 2006 erstmals vor dem Bad Nenndorfer Wincklerbad aufmarschiert seien.

180 Neonazis kamen im Jahr darauf, mehr als 400 waren es 2008, über 750 marschierten im vergangenen Jahr.

Mehr als 1.000 Teilnehmer erwarten die Ausrichter an diesem Samstag.

Eine breite Mobilisierung wollen Neonazi-Organisationen für den diesjährigen "Trauermarsch" hinbekommen haben: Infoveranstaltungen, Werbung bei anderen Szene-Events und im Internet.

Dieser Argumentation folgte das Gericht nun insofern, als es erklärte, es sei "deutlich mehr gewalttätiges Potential aus dem linksautonomen Spektrum zu erwarten". Nach einem Verbot der linken Proteste nun hat die Polizei demnach genügend Kräfte, um den rechten Marsch - Motto: "Gemeinsam und entschlossen gegen die Lüge der Befreiung" - zu beaufsichtigen. Ein unglaublicher Vorgang, findet Wertmüller: "Das heißt im Klartext, ein Aufzug in der offenen Tradition der SA, durchgeführt von militanten Rechtsextremen, wird nicht verboten." Der bürgerliche Gegenprotest dagegen werde untersagt - "aufgrund ominöser Gefahrenprognosen von Polizei und Verfassungsschutz".

Am Freitag arbeitete der Landkreis Schaumburg an einem neuerlichen Verbot des Neonazimarsches. "Wenn der Trauermarsch stattfindet", schätzt Ordnungsdezernentin Müller-Kratz, "werden Gegendemonstranten kommen." Der DGB hat sich aus ihrer Sicht "nicht von den Linksextremen distanziert". Dagegen erklärt Apotheker Übel, das Bündnis habe "immer zu friedlichem Protest aufgerufen".

Ein neues Bündnis "Nie wieder Faschismus" hat kurzfristig eine Kundgebung angemeldet. Ob sie erlaubt wird, war bei Redaktionsschluss noch unklar.

Letzte Infos: http://badnenndorf.blogsport.de

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2 Kommentare

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  • C
    Christian

    Es ist offensichtlich wieder soweit - deutsche Behörden schützen die Nazis! Deutschland wach auf - oder hast Du nichts gelernt????

  • P
    potzi

    Eigentlich sollte ein Gewerkschaftsbund die Beiträge seiner Mitglieder in erster Linie dafür verwenden, um höhere Lohne und bessere Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten zu erzielen. Statt dessen marschieren Gliederungen des DGB lieber unentwegt voran im Kampf gegen Rechts, obwohl sie schon angesichts der minimalen Zustimmung von DVU oder NPD bei Wahlen erkennen könnten, dass eine Machtübernahme verfassungsfeindlicher Kräfte definitiv nicht bevorsteht.

     

    Nun ist das Verwaltungsgericht nicht so realitätsfern wie der vor Empörung schäumende Rauschebart und hat das Gefahrenpotenzial klar erkannt, das immer dann entsteht, wenn einer rechten Kundgebung zur selben Zeit am gleichen Ort eine linke Kundgebung gegenübergestellt wird.

     

    OVG und BVerfG werden hoffenlich so klug und vorausschauend sein und daher in ihren Beschlüssen übereinstimmend feststellen, dass sich die Gegendemonstranten bei der Wahl von Ort und Zeit ihrer Kundgebungen auch danach richten könnten, wann die Ordnungskräfte wieder Kapazitäten frei haben, um für deren sichere Durchführung sorgen zu können.

     

    Bekanntlich müssen auch rechte Demonstranten Beschränkungen hinsichtlich ihrer Kundgebungswünsche hinnehmen, beispielsweise hinsichtlich der zeitlichen Nähe zu geschichtsträchtigen Jahrestagen. Warum sollten linke Demonstranten von derartigen Rücksichtnahmen, die, wie ausgeführt, teils ganz lebenspraktische Gründe haben, ausgenommen werden ?