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Nein zu Sonne, Weib und Alkohol?

Der Ausgang des schwedischen EU-Referendums am Sonntag ist noch immer offen / Regierung droht in harscher Kampagne mit Steuerstrafen, wenn das Volk nicht „richtig“ stimmt  ■ Aus Kalmar Reinhard Wolff

Ingvar Carlsson wird deutlich: „Es wird teuer, wenn wir Nein sagen.“ Teuer nicht für ein abstraktes Staatsbudget irgendwo in Stockholm, unangenehm nicht für die Bilanz irgendeines Exportunternehmens, sondern spürbar für jeden einzelnen Geldbeutel: „Es kann sein, daß wir dann noch im November ein neues zusätzliches Steuerpaket vorlegen müssen.“ Der Ministerpräsident, auf Volksabstimmungstournee in Südschweden, hat zwar ein knallrotes Gesicht bei dieser Passage seiner Rede, vermutlich aber eher wegen des kalten Windes als aus plötzlich erwachter Scham ob solcher direkter, plumper Erpressungsversuche. Die letzten Meinungsumfragen, die hartnäckig einen Vorsprung für die Nein-Seite signalisieren, scheinen jedes Mittel zu rechtfertigen, um das schwedische Volk zu einem Ja zu bringen.

Angefangen hatte alles mit Zuckerbrot, nicht mit Peitsche. Noch vor ein paar Wochen schien es so, als ob es nur einer locker- leichten Spaziergangskampagne bedürfte, genügend viele aus dem Lager der Unentschiedenen zu EU-Fans zu machen. Da lockten von den Plakattafeln verführerisch lachende, dunkelgelockte Italienerinnen und dänische Blondinen den schwedischen Mann: Europa wartet auf euch! Ebenso wie zwei gutgenährte Köche aus deutschen Landen mit wohlgefüllten Maßkrügen vor sich: Willkommen bei uns! EU sollte für Sonne stehen, für Weib und Alkohol. Wer wollte dazu schon Nein sagen? Die Schweden und Schwedinnen.

Trotz oder wegen der schwachsinnigen Kampagne – Höhepunkt: „Es ist doch netter, Ja zu sagen!“ – gingen die Anteile für die Nein- Seite in gleichem Maß nach oben, wie die der Unentschiedenen sanken. 42 für Nein, 40 für Ja, lauten die letzten Zahlen vor der Abstimmung am Sonntag.

Carlssons Kampagne tut not. Weit verbreitet ist unter SchwedInnen die Einschätzung der EU als einer Organisation, die ausschließlich den Interessen der Industrie dient und deshalb von ArbeitnehmerInnen abzulehnen sei. Daß jetzt Sozialdemokrat Carlsson mit gleicher Inbrunst das Loblied auf die EU singt wie sein konservativer Vorgänger Carl Bildt, könnte viele Unentschlossene doch noch seufzend zum Ja bewegen.

Die Ja-Seite erhält Unterstützung nicht nur von fast allen Medien – sondern auch von allen Parlamentsparteien bis auf Grüne und Links-Partei. Dabei gibt es gerade bei der Sozialdemokratie und dem landwirtschaftlich geprägten Zentrum starke Nein-Fraktionen. Ja kann klotzen, doch das macht Lennart Larsson in der Nein-Bude am Marktplatz von Kalmar keine übertriebene Sorge. Auch wenn er sich über großen Zuspruch heute wirklich nicht freuen darf: „Es kommt doch nicht darauf an, wer die meisten Buttons und Flugblätter verteilt, sondern wer die besseren Argumente hat.“ Die hat für ihn natürlich Nein mit dem Motto: „Gerne Europa, aber nicht zu den Bedingungen der EU.“

Schwedens Selbständigkeit und Demokratie seien in Gefahr, von der Bürokratenmaschinerie Brüssels plattgemacht zu werden, führen die GegnerInnen ins Feld. Und: Alles koste furchtbar viel Geld, ohne daß tatsächlich irgendein Nutzen für die schwedische Wirtschaft und die einzelnen BürgerInnen sicher sei. Argumente, die offenbar durchgeschlagen haben. Jeder Vierte, auch wenn er Ja sagen will, vermag überhaupt keine Vorteile für den Fall einer EU-Mitgliedschaft zu benennen, für das Ja spricht das Gefühl: „Wir können nicht draußen bleiben.“

Auch darauf hat sich die Nein- Seite bei ihrer Endspurt-Botschaft eingestellt: Hast du den geringsten Zweifel, stimme mit Nein. Ein Nein bedeute nur, daß man in zwei Jahren zu vielleicht besseren Bedingungen ein neues Angebot aus Brüssel bekommen werde. Ob dieses Argument so klug ist, bezweifelt auch Lennart Larsson, aber: „Irgendwie sind wir mit unseren Sachargumenten doch langsam untergegangen in dem gefühlsmäßigen Trommelfeuer für eine Mitgliedschaft. Und was ist denn schlecht daran, erst einmal abzuwarten und zu sehen? Nein läßt uns alle Möglichkeiten offen.“

Das kommt der vorsichtig abwartenden Mentalität der SchwedInnen so richtig entgegen. Kein Wunder, daß Ingvar Carlsson mit aller Macht gerade auf dieses Argument eindrischt: „Die Warten- und-Sehen-Linie ist eine üble Bauernfängerei, die mit der Realität des weiteren Schicksals Schwedens nach einem Nein am Sonntag nichts, aber auch absolut nichts zu tun hat.“ Was nichts daran ändert, daß laut Meinungsumfragen die Hälfte der SchwedInnen genau das glaubt, was von Nein verbreitet wird: Das Land werde so oder so in ein paar Jahren EU-Mitglied sein, ob man jetzt Nein sage oder nicht. Hat man den DänInnen nicht auch bessere Konditionen eingeräumt und sie so lange abstimmen lassen, bis das Ergebnis „stimmte“?

Nein, die SchwedInnen hatten es wirklich nicht leicht, wollten sie sich in den letzten Wochen ein rationales Urteil dazu bilden, was die EU eigentlich für Konsequenzen haben würde. Da warnte Pippi- Langstrumpf-Autorin Astrid Lindgren vor einem Ja schon allein im Interesse der Tiere, die man in der EU nicht als lebende und leidensfähige Wesen behandle. Da meint Ex-Ministerpräsident Bildt, ein Nein sei für die Wirtschaft gleichbedeutend mit dem Tod durch Erhängen. Nein malt die alkoholbedingte Ausrottung des halben Volkes an die Wand, und Ja stellt ein Schweden außerhalb der EU auf eine Stufe mit Albanien und Weißrußland.

Am liebsten hätten die SchwedInnen, daß alles so bleibt, wie es ist. Und Ja- wie Nein-Seite erzählen ihnen, daß sie das nur haben können, wenn sie für Ja stimmen oder eben für Nein. Nicht auszuschließen, daß eine recht große Zahl auch am Volksabstimmungstag im Nebel der verschiedenen Argumente nicht viel klarer sieht und zum dritten Stimmzettel greift: den für Enthaltung.

„Ich wähle gar nicht“, erklärt die 81jährige Gunhild, die gerade aus dem Konsum-Supermarkt kommt und sich weder für Ingvar Carlsson noch die ihr eifrig hingehaltenen Flugblätter interessiert: „Eigentlich wäre es das Beste, wenn man uns Alte überhaupt nicht wählen ließe. Das alles geht doch nur die Jungen was an.“ Gunhilds Modell würde einen EU- Beitritt Schwedens begraben: Nur bei den über 35jährigen hat die Union überhaupt eine Chance. Die Mehrheit der Jüngeren und die Mehrheit der Frauen ist klar gegen Brüssel. So war es schon im letzten Monat in Finnland und bei den Maastricht-Abstimmungen in Dänemark. Die Union scheint im Norden nur für das männliche Mittelalter attraktiv zu sein. Die mittelalterlichen Männer in Brüssel dürfen sich fragen, warum.

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