: „Nein“ brüllen gegen „gute Onkels“
■ Kinder üben im Spiel Schutz vor sexuellem Mißbrauch
Osnabrück Der Junge spielt den scheinbar liebenswerten Onkel, der am Sonntag zu Besuch kommt. Er drückt seinen Spielkameraden über die Maßen fest an sich. Dieser wehrt sich und ruft: „Nein, ich will das nicht!“ Kinder lernen, sich zu behaupten. Die Psychologin Anne Knappe hat die Spielsituation arrangiert. An der Universität Bamberg entwickelte sie ein modellhaftes Programm zur Verhütung sexuellen Mißbrauchs von Kindern. Ihre Erkenntnisse stellte sie jetzt auf einer bundesweiten Tagung der Deutschen Gesellschaft für Psychologie in Osnabrück vor, die am Donnerstag zu Ende ging.
Früher beließen es die Eltern oft dabei, ihre Kinder davor zu warnen, Süßigkeiten von Fremden anzunehmen oder zu ihnen ins Auto zu steigen. „Das ist viel zu oberflächlich“, meint Knappe. Ihr kommt es vor allem darauf an, das Selbstbewußtsein der Kinder zu steigern. Sie sollen so gefährliche Situationen bereits im Ansatz erkennen und sich zurückziehen.
Ein derartiges Programm zur Verhütung sexuellen Mißbrauchs, das sich nicht mit den Tätern, sondern den möglichen Opfern und ihren Eltern beschäftigt, ist in Deutschland Neuland. „Erschreckend“ findet die Bambeger Wissenschaftlerin diese Tatsache angesichts von rund 14.000 angezeigten Mißbrauchsfällen an Kindern jährlich und einer wohl weit darüber hinausgehenden Dunkelziffer.
An ihrem Projekt haben bislang 40 Kinder teilgenommen, die allesamt glücklicherweise noch keine Erfahrungen mit sexuellem Mißbrauch haben. In Rollenspielen bringt Knappe den Jungen und Mädchen zwischen sechs und zehn Jahren bei, laut und deutlich die eigene Meinung zu sagen. Eine Schreiübung, bei der die Kleinen laut „Nein“! brüllen, gehört zum Programm.
Von Selbstverteidigung, wie sie Kindern in ähnlichen Projekten in den USA zusätzlich vermittelt wird, hält die Psychologin nichts: Gegenwehr erzeuge bei einigen Triebtätern noch gesteigerte Lust.
Neben der Arbeit mit den Kindern legt die Psychologin besonderen Wert auf das Gespräch mit den Eltern. „Sie sollen ihren Kidnern Mut vermitteln, deutlich auszusprechen, was sie wollen und was nicht“, erklärt Anne Knappe. Rolf Lampe, dpa
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