Nebensachenroman: Leben mit Sport
Kulturbeutel
von Andreas Rüttenauer
Da ist Jerzy Kukuczka. Der polnische Bergsteiger war der zweite Mensch auf Erden, der alle Achttausender bezwungen hat. 1989 verunglückte er tödlich. Bei einer Expedition auf den 8.516 Meter hohen Lhotse im Himalaja riss sein Seil, woraufhin er 2.000 Meter in die Tiefe stürzte. Polnische Alpinisten gedenken bis heute seiner, wenn sie zum „Symbolischen Friedhof der in den Bergen Verunglückten“ in die Hohe Tatra pilgern. Und da sind Piotr Morawski und Piotr Pustelnik, die zusammen mit dem slowakischen Berghelden Peter Hamor als die „Three Peters“ Bergsteigergeschichte geschrieben haben, weil sie die ganz hohen Gipfel immer wieder auf neuen Routen zu erreichen versuchten. Mount Everest und Karakorum-Gebirge, das Erklimmen der gefürchteten 1.700Meter hohen Trollwand in Norwegen mitten im nordischen Winter – der polnische Alpinismus steht für zahlreiche bergsteigerische Wegmarken.
Und so passt es ganz gut, dass der Alpinismus in einem großen Familienroman, der die Geschichte Polens von der deutschen Besatzung bis zum Ende des vergangenen Jahrhunderts erzählt, eine gewisse Rolle spielt. In Matthias Nawrats „Die vielen Tode unseres Opas Jurek“ (Rowohlt 2015) heißt der Held der Berge Jacek Strzeliński. Er wurde von der polnischen Volksrepublik in den Himalaja geschickt, um dort den Ruhm der Nation zu mehren. Er kehrt nur in seine immer armseliger regierte Heimat zurück, weil ihm seine Mutter erzählt hat, wie sehr sie von „besorgten Mitarbeitern“ des kommunistischen Staats- und Parteichefs Bolesław Bierut drangsaliert worden ist.
Drangsaliert wird nicht nur Strzelinskis Mutter, auch Jureks Sohn, der in Opole einen Laden für Bergsteigerbedarf betreibt, hat ständig Ärger mit „besorgten Mitarbeitern“. Von denen muss er sich im „grauen Quader“ befragen lassen und immer wieder erklären, warum er Produkte aus der Tschechoslowakei verkauft und keine aus polnischer Produktion – und überhaupt würden die Dinge, die er anbiete, junge Menschen geradezu dazu anstacheln, von fernen Ländern zu träumen und Fluchtpläne zu entwickeln.
Als der nationale Held Strzeliński eines Tages das umstrittene Geschäft betritt und einen Karabiner aus tschechischer Produktion kauft, was der Ladenbesitzer zu Werbezwecken auszuschlachten weiß, geben die Behörden für eine kurze Zeit noch einmal Ruhe. Dass der große Strzeliński bei seinem Besuch im Bergsteigerladen Pantoffeln und einen Bademantel anhatte und sich bei Gelegenheit einen tiefen Schluck aus einem Flachmann genehmigt hat, musste ja niemand wissen. Geholfen hat am Ende alles nichts. Der Laden wird geschlossen und verbarrikadiert.
Erzählt wird das und die Familiengeschichte von den Kindern des Ladenbesitzers, die mit ihren Eltern längst in Deutschland leben und Opole noch einmal einen Besuch abstatten. Dort lassen sie sich erzählen, was ihr Opa Jurek für einer war – in Oświęcim Zwangsarbeiter zum Beispiel, dann kurz einer, der an den Kommunismus glaubte und Direktor eines Lebensmittelmarktes wurde. Und weil Jurek den Boxklub in Opole gegründet hat, die Fußballabteilung des OKS Odra auch irgendwie, weil er Volleyballschiedsrichter war, sein Sohn immer ein Bergfex sein wollte und seine Schwiegertochter Sportlehrerin war, wird so viel gesportlelt in dem Roman, wie man es sonst beinahe nur in Werken findet, die sich selbst Sportroman nennen. Das ist Nawrats Buch nun wahrlich nicht. Der Sport bleibt immer Nebensache. Im Leben vieler Menschen soll das ja auch so sein.
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