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■ Nebensachen aus WarschauKeine Fotos von der Mafia

„Es sollte eigentlich nur eine Reportage über eine privatisierte Kolchose sein“, hob Jerzy an. Jerzy ist Korrespondent für eine große polnische Tageszeitung in einem der ehemaligen Sowjetstaaten. Wir hatten uns beim Betriebsfest seiner Zeitung getroffen und sprachen dem Wodka zu. „Wir waren gerade eifrig am Fotografieren, als ein riesiger Lkw auf das Kolchosgelände einbog und einige stämmige Burschen in Trainingsanzügen begannen, erst leere Waschmittelpakete und dann Buntmetalle auszuladen.“ Jerzy hielt inne, um die Spannung zu erhöhen. „Das Kennzeichen des Lkw war aus Lettland.“ Klarer Fall: Die unterste Ebene der örtlichen Mafia war gerade dabei, geschmuggelte Buntmetalle auszuladen. Und sie war dabei, fotografiert zu werden.

So begaben sich einige der muskulösen Männer zu dem Fotografen und gaben ihm zu verstehen, er solle gefälligst aufhören mit dem Unfug und den Film rausrücken. Was sie nicht wissen konnten: Der Fotograf war ein Ausländer und eine solche Behandlung nicht gewohnt. Er verwies energisch darauf, daß am Kolchostor kein Schild angebracht war, das das Fotografieren verbot. Diese Antwort und die Tatsache, daß der Fotograf nicht auf der Stelle vor Angst in die Hose machte, verblüffte die Muskelpakete so sehr, daß sie gar nicht auf die Idee kamen, sich den Film mit Gewalt zu holen.

Ein Muskelpaket der gehobenen Klasse, in einer Luxuskarosse mit Handy, gesellte sich dazu. Er wolle den Film kaufen, erklärte er. 500 Dollar. Der Fotograf lehnte ab. 1.000 Dollar. Kopfschütteln. Das Muskelpaket mit Handy führte einige Telefongespräche und gab dann auf. Daß jemand weder der Gewalt noch einem Päckchen Dollarnoten wich, war eine gänzlich neue Erfahrung für den Mann, die er erst einmal verarbeiten mußte.

Doch ganz brach sein Weltbild nicht zusammen. Das bemerkte der örtliche Mitarbeiter der Zeitung, nachdem der Fotograf unbehelligt zurück nach Warschau geflogen war. Obwohl er erst wenige Tage in einer neuen Wohnung lebte, kein Telefon hatte und polizeilich nicht gemeldet war, tauchten schon zwei Tage später einige Muskelpakete der unteren Ebene bei ihm auf und gaben ihm zu verstehen, er solle im eigenen Interesse dafür sorgen, daß die Aufnahmen in Polen nicht in die Zeitung kämen. Sonst würden sie sich bemühen, sein plötzliches und gewaltsames Ableben in die Wege zu leiten.

Jerzy schüttelte den Kopf, nein, der Film sei nie veröffentlicht worden. „Wir entwickelten ihn selbst. Dann riefen wir den Handy-Mann an und erklärten ihm, wir seien bereit, den Film zu verkaufen, könnten das Geld aber nicht selbst annehmen. Sie sollten statt dessen eine Sachspende in Höhe von 1.000 Dollar an die Dorfschule der betreffenden Kolchose machen.“

Ein paar Tage später brummte in den Hof der Dorfschule ein kleiner Transporter, einige der örtlichen Bevölkerung bestens bekannte Besitzer von Trainingsanzügen meldeten sich artig bei der Schuldirektorin, die glaubte, nun habe ihr letztes Stündlein geschlagen, und entluden Fußball- und Volleybälle und allerlei Kletter- und Trimmgerät. „Von der Zeitung“, erklärten sie, bevor sie mit quietschenden Reifen den ungläubigen Blicken der Lehrer und Schüler entschwanden. Den ganzen Abend konnten Jerzy und ich uns nicht darüber einigen, ob das Prestige von Jerzys Zeitung durch diese Geschichte bei den Dorfbewohnern nun zu- oder abgenommen hatte. Klaus Bachmann

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