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■ Nebensachen aus WarschauDas Messer im Rücken

Zuerst bin ich noch jedesmal zum Fenster gerannt. „Aaj-jajj- aaj-jajj!“ brüllte die Autosirene. Kaum hatte ich die Jalousie hochgezogen, war keine Spur mehr von dem Dieb zu sehen. Zwei Minuten später: „Iiihi-iihi- iihi!“ Ich wieder zum Fenster: Nichts! Vom Balkon aus, dachte ich, habe ich den richtigen Überblick. Unter mir lag die Kreuzung. Ein Linienbus donnerte heran und erschreckte zwei Fiat- Polskis. „Töff-töff“, keuchten sie asthmatisch und schwankten bedenklich hin und her. Der Spieltrieb in mir erwachte. Wie klingt wohl der Mercedes? Im Bad füllte ich eine Plastiktüte mit Wasser, trat auf den Balkon und wartete. In einem unbeobachteten Moment ließ ich das Wasser auf das Mercedesdach klatschen. „Wäähä-wäähä-wääh!“ kreischte der los. Hoch befriedigt ging ich ins Bad und füllte die Tüte erneut. Diesmal war der Landrover dran.

Doch gerade als ich das Wasser abkippen wollte, trat ein Mann an die Autotür. Das Unglück ließ sich nicht mehr abwenden, ein Großteil des Wassers landete auf seinem Anzug. Der Mann blickte nach oben, sah die verräterische Plastiktüte und befahl mich nach unten. „O Gott“, dachte ich, „das hast du nun von deinem Entdeckergeist!“ Voller Gewissensbisse stand ich vor dem gutgewässerten Mann. Ich lud ihn zu einem Kaffee ein, die Reinigungskosten würde ich natürlich auch übernehmen, es tue mir schrecklich leid. Der 40jährige, an dessen Schnauzbart die Tropfen perlten, öffnete den Schlag: „Bitte einsteigen!“ meinte er freundlich-hinterhältig. Ich sah ihn entsetzt an: „Was? Auf keinen Fall!“ Er griente nun schon etwas versöhnlicher und schlug das Tuch über dem Sitzkissen weg: Reißnägel! „Mein Auto klaut niemand!“ Andere Polen, erklärte mir Waldemar Tokarczuk beim Tee, wendeten noch viel brutalere Methoden an. Schließlich sei bekannt, daß die Alarmanlagen überempfindlich seien und bei der geringsten Erschütterung losplärrten. Ein kurzer Stromschlag wirke Wunder. Oder Tränengas, das dem Dieb ins Gesicht spritze, sobald er Platz genommen habe. Die „Messermethode“ hingegen sei für den Fahrzeughalter zu gefährlich. „Wenn der Mechanismus versagt, hat nicht der Dieb, sondern der Eigentümer das Messer zwischen den Rippen.“ Der Fall, so Tokarczuk, sei letztes Jahr durch die Presse gegangen. Ein Hobbytüftler hatte in die Rücklehne des Fahrersitzes ein Messer eingebaut, das nach vorn schnellte, wenn sich ein Fremder hinter das Lenkrad schwang. „Natürlich ist das alles verboten. Aber wo kein Kläger ist, ist auch kein Richter!“ Ich zog die Schultern zusammen: „Und wenn der Dieb stirbt?“ Tokarczuk grinste: „Pech gehabt. Das ist Berufsrisiko!“

Nach zwei Monaten in der neuen Warschauer Wohnung kenne ich zwar noch nicht alle Nachbarn, dafür aber deren Alarmanlagen-Vorlieben. Unangefochten an der Spitze steht „Piranja“ mit Polizeisirenengeheul, dann folgt „Always in Action“, die sich offensichtlich gar nicht abschalten läßt, und etwas abgeschlagen auf Platz drei „Euro-Alarm“, deren Funktionsweise ich noch nicht herausbekommen habe. Meist gegen sechs Uhr abends beziehe ich meine Loge auf dem Balkon und gebe manchmal die Einsätze: „Jetzt Piranja! Ein kleines Töfftöff, dazu ein kräftiges Aaj-jaj- jajj und ein Wäähää-wääh.“ Vielleicht sollte ich das Ganze aufnehmen und als Akkukonzert verkaufen? Subskiptionen auf die CD jedenfalls nehme ich gern entgegen. Gabriele Lesser

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