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■ Nebensachen aus WarschauEs regnet, und die Drähte sind alt und müde

Wenn es regnet in Polen, rauscht es im Telephonhörer. Das Wasser tost ohrenbetäubend durch die Leitung. Anrufe bei der Störungsstelle bringen gar nichts: „Es ist naß draußen“, gurgelt eine Frauenstimme von weit her. „Die Drähte sind alt und müde.“ Der Techniker der Telekomunikacja kann erst in zwei Monaten kommen. „Frühesten!“ Er habe so viele Privatkunden, sagt er.

Die Entscheidung fällt nicht schwer: Ich bin jetzt auch Privatkundin. Am nächsten Tag steht er vor der Tür: „Wenn es naß ist draußen“, doziert er. „Ja, ja,“, unterbreche ich sofort, „und die Drähte sind alt und müde.“ Er grinst breit: „Dann rauscht es in der Leitung.“ Er knorzelt an der Telephonbuchse herum: „Das wird nichts mehr. Ein Provisorium, das ist alles.“

Ich wedele schon mit den Scheinchen: „Wie wäre es mit einer neuen Leitung?“ Er schüttelt den Kopf: „Dazu bräuchten wir zehn Mann.“ Ich gebe nicht auf: „Und wenn in diesem Haus außer mir noch zehn Leute ein Telephon haben wollen?“ Das Grinsen vertieft sich: „Zehn? In diesem Jahr haben zwei Millionen vergeblich auf ein Telephon gewartet.“ Er hält mir den Hörer hin: „Na?“ Eindeutig: eine Stimme, klar und deutlich, im Hintergrund ein leises Plätschern: „Mit dem nächsten Ton ist es zehn Uhr vierundzwanzig und zwölf Sekunden.“

Kaum ist er aus der Tür, stürze ich zum Telephon, wähle wie eine Süchtige. Es rauscht zum Gotterbarmen. Dann eine Männerstimme: „Ich bringe mich um.“ Eine Frauenstimme antwortet: „Das ist deine beste Idee seit Jahren. Möchtest du Chrysanthemen oder lieber Nelken auf dem Grab?“ Ich bin genervt: „Hallo! Hören Sie mich? Hallo? Würden Sie bitte aus meiner Leitung gehen!“ Keine Reaktion. „Du warst schon immer ein Miststück, fies und falsch wie deine Mutter!“ schallt es durch die Leitung.

Ich lege auf, warte eine gute Minute und nehme vorsichtig den Hörer ab. „Du hast mich also nur wegen meines Hintern geheiratet? Hast du etwa geglaubt, auf prall und knackig gibt es eine Haltbarkeitsgarantie?“ Er: „Ich konnte ja nicht ahnen, daß du so häßlich wirst.“ Sie: „Quäl du dich mal jede Nacht mit deinem Schlappschwanz ab!“ Ich brülle mit aller Kraft in die Muschel: „Raus! Raus aus meiner Leitung!“ Von ferne scheppert es, als krache eine Regenrinne herunter. Die Frauenstimme fragt: „Hallo? Ist da jemand?“ Ich pumpe meine Lungen voll Luft: „Ich will telephonieren!“ Im Hörer beginnt es zu plätschern. „Aber nicht auf unserer Leitung!“ empört sich der Mann. Die Frau giftet plötzlich dicht an meinem Ohr: „Sie sind wohl nicht verheiratet?“ Es plätschert stärker. „Ich will nicht heiraten, ich will telephonieren! Raus aus meiner Leitung! Raaauuuss!“ Es klickt zweimal vernehmlich. Erleichtert drücke ich auf die Gabel.

In dem Moment klingelt das Telephon: „Halloho!“ scheppert es lustig und blechern durch die Leitung. „Heute schon fleißig gewesen? Wo bleibt denn der Artikel für morgen?“ Es kracht entsetzlich. Dann rauschen wieder die Niagarafälle durch das Telephonnetz. „Wenn es naß ist draußen“, schreie ich gegen die Fluten an, „rauscht es in der Leitung.“ Gabriele Lesser

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