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■ Nebensachen aus SplitDas Dorf der Partisanen

In meinem Dorf auf der Insel Ciovo bei Split gibt es ihn noch, den Partisanen, den antifaschistischen Kämpfer, das Symbol für die „Brüderlichkeit und die Einheit“ der südslawischen Völker. Die Metallskulptur an der Wand eines Wohnhauses ist nicht einmal beschädigt oder beschmutzt worden, wie dies mit vielen anderen Denkmälern im ehemaligen Jugoslawien geschah. Noch reckt er seine Faust für eine Zukunft, die jetzt zur Vergangenheit geworden ist. Und er muß sich ansehen, wie andere Geister gerufen werden. Denn gegenüber im Café sitzen junge Männer, von denen einige sich in der Tradition der Ustascha sehen, der kroatischen Nationalisten und Faschisten. Manche haben in Bosnien gekämpft, haben Menschen aus ihren Häusern gejagt, im Namen Kroatiens Verbrechen begangen. Die „Brüderlichkeit und Einheit“, der Ruf der Partisanen, scheint verhallt zu sein.

Oder doch noch nicht ganz? „Laß uns in ein Dorf der Partisanen fahren“, schlägt meine Freundin Bosiljka vor, die aus dieser Gegend stammt. „Im Dorf Brstanovo waren im Zweiten Weltkrieg fast alle Bewohner Partisanen.“ Überhaupt war das kroatisch-dalmatinische Hinterland im Zweiten Weltkrieg Hochburg der Antifaschisten, die gegen die italienischen und deutschen Besatzer kämpften. „In Brstanovo wird heute ein Fest gefeiert.“

Die Straße von Split in Richtung Drnis windet sich hinauf ins Hochland. Ein letzter Blick auf die blaue Weite des Meeres, und schon sind wir mittendrin „im Stein“. Die Steine beherrschen hier das Leben. Unter der dornigen Macchia lugen sie hervor, bieten in ihren Spalten Platz für Eidechsen und Schlangen. Zu Mauern aufgeschichtet, umranden sie die kleinen Felder. Und wehe, die fleißigen Hände fehlen. Die Macchia kommt sogleich zurück und macht die Arbeit von Jahrhunderten zunichte.

Schon ist das Dorf zu sehen, wie es sich an den Berghang duckt. Und da sind die Steinhütten, in denen Miljenko, der Partisan und ehemalige Bürgermeister des Ortes, mit seiner Sippe wohnt. Das Wohnhaus, die Küche, wo das offene Feuer die Wände schwärzt, die Ställe für die Schafe, alles ist so geblieben, wie es früher einmal war. Und das Gesicht des Mannes, der, mit seinen schlohweißen Haaren ganz Patriarch, die zahlreichen Gäste empfängt, die Kinder und Kindeskinder, die das Dorf verlassen haben und nun in den Städten leben, teilt etwas mit von der Freundlichkeit der Menschen, die in dieser kargen Landschaft der Natur zu trotzen wagen.

Miljenko ist erschüttert von dem neuen Krieg. „Wir haben damals gekämpft für die Brüderlichkeit und die Einheit. Merkt euch, nicht das Volk macht den Krieg, die einfachen Leute werden nur benutzt von den Profiteuren und den Kriegstreibern.“ Miljenko hält inne, Wut und Trauer brechen sich in seinen Zügen. „Gewissenlose Politiker wie Milošević führten Bosnien in die Katastrophe. Und die Welt schaut zu und hilft nicht. Wir, die gesamte Menschheit, müssen den Krieg auf ewig bannen.“ Er hebt das Glas. „Der Frieden ist das höchste Gut, Brüderlichkeit und Einheit brauchen nicht nur die Völker des Balkan. Wir alle leben auf einer Weltkugel unter der Sonne, wir alle atmen die gleiche Luft, wir alle könnten uns verstehen und in Frieden zusammenleben.“

Miljenko blickt über das Dorf. Auf dem Berg dort oben war 1943 die Kommandozentrale der Partisanen, dort wurden die ersten Ausgaben der Zeitung Freies Dalmatien gedruckt, erinnert er sich. Die in Gemeinschaftsarbeit errichtete Schule ist nach wie vor sein Stolz. Die Straße, die sie bauten, das Wäldchen, das dort hinten aufgeforstet wurde, das alles sind doch die Errungenschaften seiner Zeit. „Niemals hat er etwas für sich allein getan“, sagt seine Schwiegertochter, „immer für die Gemeinschaft.“

Die Enkelkinder haben sich verdrückt, nicht ohne ein Stückchen von dem Schinken, dem Käse und dem in der Glut gebackenen Brot stibitzt zu haben. Die Erwachsenen, von denen keiner im Dorf geblieben ist und die jetzt an der Küste wohnen, sind sitzen geblieben. Das Feuer des Alten scheint sie jedoch nicht anzustecken. Als Miljenko leise, so als spräche er nur zu sich selbst, murmelt: „Zwei meiner Brüder sind als Partisanen im Kampf gefallen. War ihr Opfer denn umsonst?“, macht sich Mitgefühl und Ratlosigkeit in der Runde breit. Was wäre denn zu tun? Sollte die Partisanenbewegung neu erstehen?

Der Weg zurück in die Stadt führt durch den Kiefernwald. „Wenigstens zeugt dieser noch wachsende Wald von dem positiven Geist der Partisanen“, sagt die Freundin. Doch es bleibt offen, wer die bösen Geister der Gegenwart zu bannen in der Lage ist. Erich Rathfelder

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