Nebensachen aus Rio: Eine „Putze“ darf nicht Fahrstuhl fahren
■ Brasiliens Apartheid trifft „schwarze“ Gouverneurstochter / Erste antirassistische Polizeiwache
Der Mythos der brasilianischen „Rassendemokratie“ hat einen schweren Schlag erlitten. Nichts gegen Dunkelhäutige, doch sie sollen gefälligst nicht den Fahrstuhl benutzen. Das jedenfalls dachte sich die deutschstämmige Terezina Stange. Die Geschäftsfrau aus der Reisebranche belehrte in der vergangenen Woche eine Mulattin in Shorts und Badelatschen, daß Hausangestellte nicht denselben Fahrstuhl wie die Bewohner des Luxusgebäudes benutzen sollten.
„Der Fahrstuhl ist nicht für kleine Negerinnen gedacht, die ihn unnötig besetzen“, erklärte die 40jährige aus Vitoria, Hauptstadt des brasilianischen Bundesstaats Espirito Santo. Um ihrer Äußerung Nachdruck zu verleihen, befahl sie ihrem 18jährigen Sohn, dem Mädchen ins Gesicht zu schlagen. Der Protest des Opfers war vergebens: „Du hast hier nichts zu vermelden, Putze“, stellte Terezina Stange klar.
Die Unternehmerin läuft nun Gefahr, aufgrund dieser Äußerungen hinter Schloß und Riegel zu geraten. Denn zufälligerweise handelte es sich bei dem 19jährigen Mädchen im Fahrstuhl nicht um „irgendeine Putze“, sondern um die Tochter des Gouverneurs von Espirito Santo, Ana Flavia Azeredo. In Brasilien können rassistische Diskriminierungen mit bis zu vier Jahren Haftstrafe geahndet werden.
„Ich werde bis zum Äußersten gehen, um diese verschleierte Apartheid in Brasilien zu bekämpfen“, kündigte die Mutter Ana Flavias an. Terezina Stange weist jegliche Schuld von sich: „Das Mädchen lügt. Ich bin keine Rassistin, sondern, im Gegenteil, Candombl-Spiritistin“ (Candombl = afrobrasilianische Religion, Anmerkung der Red.).
„In Brasilien ist die Apartheid schlimmer als in Südafrika“, kommentiert Joao Jorge Santos Rodrigues, Leiter der schwarzen Rhythmusgruppe „Olodum“ aus Bahia. Eine unsichtbare Mauer trenne Schwarze und Weiße. Die vorherrschende Ideologie der „Rassendemokratie“ würde davon ausgehen, daß Schwarze wissen, wo ihr Platz in der gesellschaftlichen Hierarchie sei.
Kennzeichen dieses Mythos des friedlichen Miteinander ist die Tatsache, daß Schwarze selbst sich nicht als schwarz betrachten. „Nelson Mandela wäre in Brasilien nicht schwarz, sondern braun.“ Bei der Volkszählung im vergangenen Jahr seien 138 verschiedene Hautfarben erwähnt worden, nur um die Bezeichnung schwarz zu vermeiden. „Hier gibt es alles: von mulatto über rotbraun bis zu sonnenverbrannt und dunkel“, beschreibt der Musiker die Sehnsucht seiner Landsleute nach einem helleren Teint.
Im Gegensatz zu Vitoria bahnt sich in São Paulo ein zarter Versuch an, den rund 70 Millionen schwarzen Brasilianern zu ihren Rechten zu verhelfen. Im vergangenen Monat wurde dort die erste „antirassistische Polizeiwache“ gegründet. „Die Einrichtung ist die erste öffentliche Anerkennung rassistischer Diskriminierung in Brasilien“, erklärt Antonio Carlos Arrudoa von der brasilianischen Bürgerrechtsbewegung SOS Racismo. Die Vereinigung registrierte in den vergangenen zwei Jahren 161 Anzeigen wegen Diskriminierung. Nicht ein einziger Fall wurde polizeilich verfolgt. Astrid Prange
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