■ Nebensachen aus Paris: Familienangelegenheiten
„Eine Atombombe müsste man da reinwerfen“, schimpft die Chefin in dem Couscous-Restaurant an den Pariser Boulevards. „Die machen alles kaputt, was wir aufgebaut haben.“
Die falsche Blondine füllt ein bisschen von der scharfen Harissa-Sauce nach und zeigt den Kunden, „wie man bei uns isst“. „Bei uns“ – das heißt in Algerien. Wo sie in den 50ern geboren ist. Und wo sie laufen und sprechen gelernt hat. Seit es 1962 vorbei war mit der „Algérie française“ und ihre Familie zusammen mit hunderttausenden anderen französischen Kolonisten auf die andere Seite des Mittelmeers floh, hat sie keine Heimat mehr. Bloß noch eine Sehnsucht. Und die Schmach, „von den Muselmanen“ herausgeschmissen worden zu sein.
Meine Freundin Rachida winkt gelangweilt ab, als ich ihr die Bombenfantasien der Restaurantbesitzerin erzählen will. So etwas kennt sie zur Genüge. Dabei hatte Rachida, als sie vor ein paar Jahren aus Algerien floh, noch ganz andere Vorstellungen. Darin war Frankreich das zivilisierteste aller Länder, sowie jenes mit dem größten Respekt vor den Menschenrechten. Vor allem aber war es eine Art verlängerte Heimat der Algerier.
„Ich bin schließlich Nachfahrin der Gallier“, sagt Rachida grinsend. „Außerdem bist du in einem französischen Departement geboren“, setzt ihre Pariser Freundin Sylvie hinzu. Beide sind Anfang 50 und alt genug, um dieselben Sätze in den Schulen der französischen Republik gelernt zu haben, die damals noch von Phnom Penh über Konakry bis Tunis reichte.
In Paris angekommen, hat sich für Rachida die Sache mit den gallischen Vorfahren schnell relativiert. Meine Freundin, die vor ihrer Flucht nie in Frankreich war, kennt das französische Rechts- und Verwaltungssystem aus dem Effeff – schließlich ist ihr unabhängiges Algerien eine Blaupause davon. Sie weiß, wo die Familienbeihilfen und das Wohnungsgeld zu beantragen sind. Selbstbewusst erinnert sie nachlässig arbeitende Beamte an ihre Pflichten. Und wenn auch das nichts fruchtet, droht sie mit einer Beschwerde auf dem Instanzenweg. Umgekehrt erinnern die Sachbearbeiter Rachida regelmäßig daran, dass sie keine Ansprüche zu stellen, sondern froh zu sein habe, dass sie überhaupt in Frankreich geduldet wird.
Sylvie ist nie in Algerien gewesen. Aber die Landschaft der Großen und der Kleinen Kabylei kennt die Pariserin aus ihrer Schulzeit besser als das Ruhrgebiet. Als die Regierung in Algier neulich das Arabische anstelle des Französischen zur Unterrichtssprache machte, war sie tagelang niedergeschlagen.
In den großen Fragen ihrer Länder sind sich Rachida und Sylvie einig. Sylvie war für die Unabhängigkeit – schließlich hat ihre Familie Anfang der 60er Jahre Koffer voller Geld und Waffen für die Befreiungsbewegung FLN transportiert. Und Rachida ist natürlich gegen die religiösen Fanatiker – nicht zuletzt ist sie selber vor ihnen geflohen.
Nie würde Sylvie es wagen, über „die Muselmanen“ herzuziehen oder gar von der „Algérie française“ zu schwärmen. Aber gelegentliche Ratschläge auf die andere Seite des Mittelmeeres kann auch sie sich nicht verkneifen. Neulich, als Rachida uns zu einem Couscous eingeladen hatte, wollte sie wieder damit anfangen. Mir schwante Übles, als ich ihren Satzanfang hörte: „Das Problem der Algerier ...“ Und natürlich fiel ihr umgehend Rachida ins Wort: „Kümmert ihr Franzosen euch um eure eigenen Probleme. Wir brauchen eure Ratschläge nicht.“
Aber dann unterbrach Rachida sich plötzlich in ihrer Schimpftirade und knuffte ihre Freundin in die Seite: „Wollen wir wirklich vor einer Deutschen über unsere Familienangelegenheiten reden?“ Dorothea Hahn
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