Nebensachen aus Italien: Computerisierung auf Italienisch: Der tägliche Millennium-Bug
Fausto di Sanctis ist ratlos: „Das muss doch irgendwie ankommen.“ Die Überweisung der taz an den Italienkorrespondenten ist mittlerweile vierzehn Tage überfällig, und alle Recherchen sind vergebens. Dabei hatte es bisher doch immer einigermaßen geklappt. Aber „leider“, murrt Fausto von der „San Paolo IMI“-Filiale in Terracina, „leider wickeln wir jetzt die ,Auslandseinläufe‘ nicht mehr selbst ab.“ Die kommen in der Provinzhauptstadt Latina an und werden von da weitergeleitet – wenn nicht irgendwo ein Fehler reingerät.
Die Woche danach macht der Postbeamte im Vorort Borgo Hermada, dem Sitz von taz-Italien, ein ähnlich verstörtes Gesicht wie Fausto von der Bank: Die telegrafische Überweisung, sozusagen als Rettungsanker nachgeschickt, ist auch nicht angekommen. Dabei hatte auch das bisher immer spätestens bis zum nächsten Morgen geklappt. „Aber leider“, erklärt Roberto, „leider kommen die Telegramme auch nicht mehr wie vorher direkt bei unserem Postamt an, sondern im Hauptort Terracina. Und die schicken es weiter.“ Oder eben auch nicht.
Nach drei Wochen ist zumindest die Banküberweisung wieder aufgetaucht – zurück in Deutschland, der Grund für den Irrweg ist nicht feststellbar. Da das taz-Geld für eine lange Recherchereise notwendig ist, schickt die Verwaltung das Geld noch einmal los, wieder posttelegrafisch. Nach zwei Tagen noch immer nichts, inzwischen war der Reiseantritt nicht mehr zu verschieben. Vier Tage nach der Abfahrt ist nun doch ein Telegramm da – eines, nicht zwei wie abgesendet. Das Postamt von Terracina behauptet, es handle sich um das zweite, abgeschickt am 14. Oktober; das Amt in Borgo Hermada, das das Geld dann auszahlen muss, versteift sich darauf, dass es das erste ist, das vom 11. Oktober. Zehn Tage danach klärt sich alles auf: Beide waren eingelaufen, aber da es beide Male derselbe Betrag war, hat der Computer sie erst mal auf Eis gelegt, um zu klären, ob das eine versehentliche Doppelbuchung war. Als der sie dann freigab, vermuteten die Angestellten, es sei ein und dieselbe Anweisung und zahlten erst mal nur eine aus.
Nicht erst seit der Ferrari-Rechner beim Bereitstellen der Reifen für Formel-1-Pilot Irvine nur drei herausrückte, staunen selbst die krisengewohnten Italiener nur noch, was sich da per Computer so alles an Dummheiten machen lässt. Mitte Oktober fehlte plötzlich das Kerosin auf dem internationalen Flughafen in Rom – der Computer hatte nicht bemerkt, dass der Treibstoff zu Ende ging, sechs Stunden hob kein Flugzeug ab. Aber als man sozusagen per Hand nachbestellen wollte, ging nichts mehr: Auf dem römischen Hauptbahnhof Termini, über den die Tankwaggons angeliefert werden, war gerade der wenige Tage zuvor nagelneu in Betrieb genommene Zentralrechner abgestürzt und wollte sich auch nicht mehr in Gang bringen lassen: Drei Tage Stau, die meisten Züge mussten umgeleitet werden. An die 7.000 Simulationsstunden habe man vorher durchgeführt, behauptete daraufhin die Bahnleitung – doch leider hatte man nicht gewusst, dass der Großrechner ein höchst ungeduldiges Wesen hat und sofort alles blockiert, wenn bei einer Weichenstellung oder einem Signalwechsel nicht sofort das „Erfolgreich durchgeführt“ kommt: Da auf vielen Strecken noch mechanische Signale und langsam rumpelnde Übergangsbarrieren arbeiten, nahm der Computer jedes zweite Rückmeldesignal als defekt wahr – und sagte prompt jeden weiteren Verkehr ab.
Bei Olivetti, vordem der Haupthersteller italienischer Computer, mittlerweile von internationalen Konkurrenten ausgeschaltet, übt man sich, weil an nichts mehr schuld, in Sarkasmus. „Den Millennium-Bug“, frotzelt ein Techniker über den befürchteten Absturz aller Systeme beim Übergang vom 31. 12. 99 zum 1. 1. 00, „den brauchen wir doch gar nicht. Wir machen das alles schon vorher fein säuberlich durch.“ Werner Raith
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