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■ Nebensachen aus IstanbulDer Mega-Krieg der Zeitungen

Istanbul (taz) – Fast einen Monat war ich nicht in Istanbul. Ich hatte mich ganz auf das politische Chaos, das den Stoff der Berichterstattung abgibt, eingestellt. Schließlich dauern die bürgerkriegsähnlichen Zustände in Kurdistan an, türkische Truppen sind in Somalia gelandet, und im Parlament fetzen sich die Politiker. Doch da stellte ich fest, daß die Menschen in Istanbul über etwas anderes reden. Der „Krieg der Sterne“, der „Mega-Krieg“ ist allgegenwärtig. Bewaffnet mit der Schere, hat sich das ganze Volk in den Kampf gestürzt.

Es ist die Rede vom Krieg unter den drei türkischen Mediengiganten. Die Tageszeitungen Sabah (Der Morgen), Hürriyet (Die Freiheit) und Milliyet (Die Nation) haben sich auf einen selbstzerfleischenden Kampf um Auflagen und Leseranteile eingelassen. Das Ganze begann mit der Großoffensive der Sabah, die ankündigte, ihren Lesern die türkische Ausgabe der 24bändigen Enzyklopädie „Larousse“ zu schenken. Wir Leser brauchen nur die Coupons in der Zeitung auszuschneiden. Sabah steigerte die Auflage binnen weniger Tage von 600.000 verkauften Exemplaren auf über 1,5 Millionen. „Sabah hat das erste Tor geschossen“, freute sich Verlagsleiter Zafer Mutlu. Doch die Konkurrenz stand nicht abseits. Nur eine Woche später lockten Milliyet und Hürriyet ebenfalls mit Ezyklopädien gegen Coupons und verdreifachten ihre Auflagen.

Schon seit Ende Oktober bekämpfen sich die drei Medienkonzerne. Tagtäglich werden die Enyklopädien, die die Konkurrenz ihren Lesern verspricht, in der TV-Werbung und in Artikeln mit Dreck beworfen. In Hürriyet heißt es zum Beispiel: „Sabah betrügt immer seine Leser. In einer Kampagne, bei der dem Gewinner ein nagelneuer Jeep versprochen worden war, hat Sabah den alten, zu Schrott gefahrenen Jeep des Verlagsleiters reparieren lassen und dem Gewinner gegeben. 1991 haben sie den Lesern silberne Halsketten versprochen. Doch es waren nur wertlose Metallketten, wie der Gerichtsgutachter feststellte.“

Der Aggression gegen die Konkurrenz sind keine Grenzen gesetzt: „Lügner“, Betrüger“, „Widerling“, hören und lesen wir. Die Kriegsparteien gönnen dem gemeinen Volk noch nicht einmal die Freude, in Ruhe ein Fußballspiel im Fernsehen anzuschauen. Da will man sich das UEFA-Pokal-Spiel Rom–Galatasaray anschauen. Doch ständig wird es von Werbung unterbrochen: Bilder von Lastwagen, die die in Österreich gedruckten Enzyklopädien der „Sabah-Verlagsgruppe“ anliefern.

Die Schere ist heute für jeden Türken unerläßlich. Täglich werden Abermillionen Coupons ausgeschnippelt. Wenn im Haushalt etwas fehlt, gehe ich statt zum Supermarkt zum Zeitungskiosk und prüfe, was die Zeitungen an diesem Tag gerade verschenken. Der Zeitungskiosk gab mir jüngst Zahnpasta von Hürriyet, wenige Tage später gab es das Waschpulver von Sabah umsonst. Über den Inhalt der Zeitungen mag man streiten. Aber mein Waschpulver war wirklich gerade ausgegangen. Ömer Erzeren

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