■ Nebensachen aus Gornij Vakuf: Suche nach einem Schlafplatz im Kriegsgebiet
Es dunkelt schon. Schnee und Eis haben die Straßen nach Zentralbosnien fast unpassierbar gemacht. An Weiterfahren ist nicht mehr zu denken. Irgendwie muß jetzt hier in Gornij Vakuf ein Schlafplatz gefunden werden. Doch die Menschen im muslimischen Teil der Stadt können nicht helfen. In einem provisorisch wiederhergerichteten Café in der Innenstadt deutet der Wirt mit einem Achselzucken nur auf die Ruinen ringsherum. Über ein Jahr lang tobte 1993/94 der Kampf der kroatische HVO gegen die bosnische Armee. UNO- Lastwagen, die Fahrzeuge der internationalen Hilfsorganisationen sowie diejenigen der Journalisten mußten damals auch durch diese Hölle fahren, ein immer wieder gefährliches Unternehmen. „Privatzimmer“, sagt der Wirt achselzuckend und etwas abweisend, „gibt es hier nicht.“ Wir, ein befreundeter Journalist und ich, sollten in Richtung Norden nach Bugojno fahren.
Die Straße führt durch zerstörte und auch intakte Dörfer, wo abwechselnd mit bosnischen und kroatischen Flaggen anzeigt wird, wer hier wohnt und wer hier zu sagen hat. Im fahlen Mondlicht nehmen die ausgebrannten Fensterhöhlen bizarre und gespenstische Formen an, in den noch bewohnten Häusern zeigt vereinzeltes Kerzenlicht an, daß die im Krieg zerstörten Stromleitungen noch nicht wieder hergestellt sind. Auch in Bugojno gibt es keinen Strom. Im ehemaligen Touristenhotel hat sich die bosnische Armee eingerichtet. Ein Zimmer? Fehlanzeige.
Also wieder zurück? „In einem Haus gab es doch so etwas wie eine Gastwirtschaft“, sagt der Begleiter mit hoffendem Unterton. Und tatsächlich: Nach einigen Kilometern Fahrt schimmert durch eine ganze Fensterfront Licht. In dem großen Raum betrachten uns einige Männer, Schnapsgläser und Bierflaschen vor sich aufgereiht, mit skeptischem Blick. Angesichts der an die Wand gelehnten Maschinenpistolen und den Waffenhalftern, die sich an den ausgebeulten Jacken abzeichnenn, heißt es jetzt die Nerven zu bewahren und darauf zu hoffen, daß jemand in diesem kroatisch-bosnischen Dorf seine Gastfreundschaft beweist.
Nach einigen Runden Bier und Schnaps ist das Eis gebrochen. „Ustascha, Kohl, Genscher“ murmelt einer, der offensichtlich einen sitzen hat. „Ich lade euch ein“, sagt er freundlich, um nach einem weiteren Schluck mit seiner Pistole herumzufuchteln. Die Kellnerin, eine resolute, knapp zwanzigjährige Dame aus Zenica – „die ist bestimmt halb Muslimin“, flüstert ein anderer Gast – erfaßt die etwas unkonfortable Situation und verspricht uns, ihre Kammer mit uns zu teilen. Doch je später der Abend wird, desto mehr Gäste treffen ein, es hat sich wohl herumgesprochen, daß fremde Journalisten eingetroffen sind. Schnaps und Bier fließen reichlich, die Stimmung ist gelockert und freundschaftlich. Plötzlich will fast jeder Gast uns einen Schlafplatz anbieten. Ein vertrauenswürdig aussehender junger Mann macht das Rennen.
„Da drüben, von dort, schossen die Muslime zu uns rüber“, erklärt er am nächsten Morgen und zeigt auf ein knapp 100 Meter entfernt stehendes Haus, „wir haben nur zurückgeschossen.“ Früher wären doch alle gut miteinander ausgekommen, dann habe sein bester Freund, ein Muslim, seine Mutter getötet. „Wir, meine Frau und ich, haben nur unser Haus verteidigt.“ Mit den Muslimen wolle er jetzt nichts mehr zu tun haben. „Es kann hier trotz der kroatisch-bosniakischen Föderation jederzeit wieder losgehen.“ Der Krieg habe zwar, „von den Politikern gemacht“, oben angefangen, jetzt sei er aber „unten“ angekommen. Haben die „drüben“ denn nicht genauso viel Angst wie ihr hier? „Vielleicht.“ Mit Blick auf die teilweise von ihm selbst zerstörten muslimischen Häuser stellt er seine Kalaschnikow ins Haus. Erich Rathfelder
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