■ Nebensachen aus Buenos Aires: Banditenforscher
Eine ehrenwerte Gesellschaft sitzt hier beisammen: Sammler von Banditen-Souvenirs, Geschichtenerzähler, Hobbycowboys. Kurz: Verrückte. Die feineren von ihnen sind in ernster Mission unterwegs. Auf ihren Visitenkarten tragen sie den Titel „Wissenschaftler“. Ihr Fachgebiet: Banditenstudien. Um genau zu sein interessieren sie sich für zwei Banditen besonders: Robert Lerroy Parker und Harry Logabaugh, besser bekannt als Butch Cassidy und Sundance Kid.
Angereist kamen die Forscher und Fanatiker zum „Zweiten internationalen Symposium“ über die beiden Halunken, zu dem die Veranstalter nach Travelin in Südargentinien geladen hatten. Ein von Gott und den Banditen verlassenes Nest. Unweit von hier hausten in Blockhäusern Butch Cassedy und Sundance Kid oder James Ryan und Harry Place, wie sie sich in Patagonien nannten. 1901 waren beide mit der Freundin von Sundance Kid hierher geflüchtet. Das fanden Mythenjäger aber erst später heraus. Und sie fanden noch Bewohner, die die beiden persönlich kennen gelernt hatten.
Das Ende der Welt ist gerade sicher genug, dachten sich die beiden wohl, als sie auf der Suche nach einer Bleibe waren: am Fuße der Anden, die nächste Stadt einen halben Tagesritt entfernt, Kuhweiden und sonst nichts. Aber rauhe Gegenden waren sie ja gewohnt. In den 1890ern verdienten sie sich ihren Lebensunterhalt damit, dass sie in den Rocky Mountains Banken und Züge ausraubten.
Heute kommen Rucksack-Touristen vorbei, um etwas Abenteurerluft zu schnuppern. Gegen Gebühr zeigen ihnen geschäftstüchtige Dorfbewohner die Stätten der Banditen. Sie sind Stoff für Legenden und Geschichten, die sich von Tag zu Tag anders anhören. Und immer findet sich noch jemand, dessen Großmutter Butch Cassedy die Socken geflickt hat.
Fotowände, Vorträge und Filme gab es auf dem Symposium, aber etwas wirklich Neues kam nicht ans Licht. Was soll schon herauskommen, wenn alle Dokumente, die es über die Patagonien-Abenteuer der beiden Halunken gibt, von habgierigen Sammlern mit nach Hause genommen und dann nie wieder rausgerückt wurden? Das Protokoll eines Verhörs von Butch Cassidy verschwand aus den Metallschränken des Strafgerichts in Rawson. Der Richter hat es eingesackt und gehütet wie eine Goldtruhe.
Die Legende lebt. Butch Cassidy soll in Patagonien beliebt gewesen sein. Wurde er nach einem seiner Raubzüge verfolgt, soll er auf der nächsten Farm um Hilfe gebeten haben. Das zumindest erzählt William Goldman, der acht Jahre seines Lebens auf der Spur von Cassidys Biografie war, um dann später das Buch für berühmten Film mit Paul Newman und Robert Redford zu schreiben.
Cassidy hat sich in Patagonien wohl gefühlt. Er schrieb damals: „Dieser Ort der Welt erschien mir gut, und so richtete ich mich hier ein. Und jeden Tag gefällt es mir hier besser. Ich habe 300 Kühe und 28 Pferde, ein gutes Haus mit vier Zimmern und ein paar Hühner. Das einzige was mir fehlt, ist eine Köchin.“
Aber ganz ins bürgerliche Leben waren die beiden nicht zurückgekehrt. In Patagonien raubten sie mehrere Banken aus und mussten schließlich nach Bolivien flüchten. Hier spezialisierten sich die beiden auf die Tresore der Minengesellschaften im Grenzgebiet. Nachdem sie einen Waggon der Aramayo Minengesellschaft hochgenommen hatten, wurde es brenzlig. Sie flüchteten in das Nest San Vincente. Hier sollen sie umgekommen sein, vermutlich in einer Schießerei. Auch der auf dem „Internationalen Symposium“ in Patagonien tagende Expertenkreis wusste keine einwandfreie Antwort. Genug Stoff für weitere Geschichen. Ingo Malcher
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