Naturschutz-Nachhilfe für Biohöfe: Was dem Feldhasen gut tut
Nichts gefährdet die Artenvielfalt so stark wie Agrarbetriebe. Selbst Biohöfe können in Sachen Tier- und Pflanzenschutz dazulernen.
Tatsächlich kommt nun der Realitätscheck für das Vorhaben, das 2011 ausgedacht und 2012 auf den Weg gebracht wurde: Vergangene Woche demonstrierten die Stakeholder in Walkendorf, Kreis Rostock, an zwei Biomusterbetrieben, wie die neuen Naturschutzstandards angewandt werden können.
Die Höfe sollen naturverträglich arbeiten und damit seltenen Wildpflanzen und Tieren wieder Lebensraum bieten, dazu gehören unter anderem gezielt angelegte Blüh- und Amphibienstreifen, Hecken und Brachen, rücksichtsvolles Mähen mit Ruhepausen für die Natur, kleinteiligere Anbaustrukturen und die eingeschränkte Nutzung von Grünland.
Die Wissenschaftler des Zalf haben ein ganzes Handbuch mit sinnvollen Maßnahmen bis hin zum teilweisen Verzicht auf Unkrautjäten und Düngen geschrieben. Ein Monitoring ausgewählter Vogel-, Amphibien- und Pflanzenarten soll später zeigen, ob die biologische Vielfalt wirklich profitiert.
Buchführung des Niedergangs
Dass die Landwirtschaft die Schlüsselrolle für den Erhalt oder Niedergang des biologischen Reichtums einnimmt, wird kaum noch ernsthaft bestritten. Auch in deutschen Regionen ist die Intensivlandwirtschaft mit Monokulturen und Stickstofforgien, Brutalo-Mähtechnik, Pestizideinsatz und reduzierten Fruchtfolgen für die Artenverluste hauptverantwortlich. Rückzugsräume für die Natur werden immer knapper. Für Grün- und Ackerland typische Pflanzen haben „in den letzten 50 bis 60 Jahren Häufigkeitsabnahmen in der Größenordnung von 95 bis 100 Prozent erlitten“, heißt es in einer Studie des Geobotanikers Christoph Leuschner.
Zahlen: In Deutschland arbeiten rund 23.940 LandwirtInnen ökologisch. Sie bewirtschaften mit 1.089.000 Hektar 6,5 Prozent der Agrarflächen.
Standards: Die meisten deutschen BiolandwirtInnen sind bei Bioland, Demeter, Naturland oder Biopark organisiert. Deren Ökorichtlinien sind strenger als die EU-Vorschriften.
Kennzeichnung: Das EU-Bio-Logo ist für Ökoprodukte Pflicht, eine zusätzliche Auszeichnung mit dem deutschen Biosiegel oder den Siegeln der Verbände und Handelsmarken möglich.
Für Mecklenburg-Vorpommern legte Agrarminister Till Backhaus (SPD) nun Zahlen vor. Obwohl er das eigene Bundesland als vorbildlich lobt (“bei Natur und Landwirtschaft sind wir spitze“), muss er gleichzeitig einen dramatischen Verlust von Tieren und Pflanzen konstatieren: Nur 33 Prozent der Pflanzen- und 50 Prozent der Tierarten gelten als ungefährdet, alle anderen sind gefährdet, stark gefährdet, extrem selten, vom Aussterben bedroht, stehen auf Vorwarnlisten oder sind verschollen. Immerhin: Die Buchführung des Niedergangs ist mustergültig.
Jetzt wird auf 40 Biohöfen gegengesteuert, damit Feldlerche und Wiesenpieper wieder jubilieren, die Rotbauchunke häufiger unkt und das Hügelfingerkraut freudig wächst. 40 Naturschutzexperten sind in die Initiative eingebunden, vier Berater stehen den Höfen zur Verfügung. Die Landesregierung fördert das Projekt, über den Verkauf der mit einem Speziallogo ausgestatteten Hoferzeugnisse bei Edeka sollen die Mehrkosten wieder eingespielt werden.
„Nicht immer amüsiert“
WWF-Umweltschutzexpertin Tanja Dräger de Teran, die die Initiative von Anfang an mit angeschoben hat, sieht erste Erfolge: Die Betriebe entdeckten jetzt erst, welche Tiere und Pflanzen auf ihren Feldern überhaupt vorkommen. Über die Schutzmaßnahmen seien sie zwar „nicht immer amüsiert“, aber insgesamt sei die Akzeptanz gut.
Dass nur Biohöfe für die Initiative ausgewählt wurden, ist für Dräger de Teran logisch, weil die Ökolandwirtschaft naturverträglicher sei. Der Umkehrschluss: Die naturverschlingende konventionelle Landwirtschaft hätte Nachhilfe im Artenschutz eigentlich nötiger. Die Initiative zeigt jedenfalls, dass auch Biohöfe beim Artenschutz großen Nachholbedarf haben.
Uli Jasper, einer der Köpfe der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, findet das Vorhaben „aller Ehren wert“, er würde sich aber mehr Kleinbetriebe wünschen und nicht nur die großen. Überhaupt: Die Größe der Betriebe, so Jasper, sei ein zentraler, oft sträflich vernachlässigter Punkt. Die Kleinen hätten „strukturelle Vielfalt“ und interessante Feldgrößen. Jasper ist gespannt, ob am Ende mehr rauskommt als eine symbolische Aktion.
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