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Natur pur und Action total

Wandern, Herumradeln und Umwelt bestaunen allein reicht nicht mehr. Darum setzt Neuseeland auch auf die Freizeitindustrie. Queenstown ist der größte Abenteuerspielplatz  ■ Von Bernd Müllender

Neuseeland hält in seiner ganzen Naturgewaltigkeit reichlich Spezialitäten parat – weitläufige, menschenleere Nationalparks mit artenreichen Regen- und Farnwäldern, skurrile Fels- und Gesteinsformationen, Gletscher fast bis auf Meereshöhe, Albatros- und Pinguinkolonien, Papageien und den reichlich komischen, flugunfähigen Langschnäbler namens Kiwi. Nicht zu zählen die Bäume (native trees), Sträucher und Blumen, die es ausschließlich in Neuseeland gibt: bedingt durch eine Jahrmillionen dauernde isolierte Randlage sind an die 70 Prozent aller Arten endemisch. Bevor die Menschen kamen, gab es kein einziges Säugetier.

Natur pur also, einmalig und reichlich. Seit jedoch die TouristInnen strömen, nicht nur aus Europa, zunehmend auch aus Asien, hat sich in Neuseeland eine Freizeitindustrie eigener Art breitgemacht. Wandern allein, Herumradeln und Umwelt bestaunen, das reicht nicht – weder den Besuchern noch denen, die mit ihnen ein paar Dollar machen wollen.

Bungee Jumping, jener Sprung am Gummiseil in die Tiefe Richtung tosender Wildbach, ist das bekannteste Produkt im neuseeländischen Outdoor-Business. Auf einer Brücke bei Queenstown wurde der Nervenkitzel 1988 erfunden. Seit indes auf jeder zweiten deutschen Dorfkirmes ein Kran mit Plattform und Seil aufgebaut wird, ist Bungee nichts aufregend Neues mehr. Was noch lange bleiben wird, ist das traditionelle Golfspiel: In Deutschland weitgehend der Snobiety in Privatclubs vorbehalten, ist das Bällewegschlagen mit Eisenstangen in Neuseeland Volkssport. Fast alle Plätze sind öffentlich. Und jedeR kann sich probieren, ohne Clubmitgliedschaft, mit Leihschlägern, für ein paar Dollar. Neuseeland hat die größte Golfplatzdichte, im Vergleich zur Einwohnerzahl, weltweit.

Queenstown, die Stadt im Südwesten der Südinsel, durchaus malerisch gelegen am Wakatipu-See und umgeben von stolzen Zweitausendern, ist Action total, der Abenteuerspielplatz der Freizeitgesellschaft. Hier wird erlebt: Knallrote Jet-boats mit Jet-jockeys und naßgespritzten jauchzenden Touristen an Bord dröhnen durch den Fluß mit dem bezeichnenden Namen Shotover River; andere machen Schlauchboottouren durch die Stromschnellen; in den Lüften wird fallschirmgesprungen, drachengeflogen und parageglidet, Boote für sämtliche Wassersportarten durchpflügen den See, Jagen, Reiten, Golfen, und natürlich Kautschukstrippenspringen gibt es in der Umgebung. Neueste Errungenschaft (the ultimative game) ist Kriegspielen im Busch, mit Touristenarmee rot gegen Touristenarmee blau. Und wer nur wenig Zeit hat, kann heli everything buchen – per Hubschrauber in sechs Stunden von einem Thrill zum nächsten, bis man durchgeschüttelt, durchgewirbelt und durchgehangen garantiert nicht mehr alle Sinne beisammenhat.

Viele finden Queenstown originell. Typisch für Neuseeland ist es wirklich nicht; auch, weil es hier ein richtiges Nachtleben gibt.

Origineller schon ist „Neuseelands bestgehütetes Geheimnis“, wie sich die Höhlenwelt bei Waitomo auf der Nordinsel bewirbt. Diese kann man konventionell erlaufen, abseilend durchqueren oder auf großen Gummischläuchen durchschwimmen über einen unterirdischen Fluß mit Stromschnellen, Sprüngen, kurzen Tauchphasen – und das alles im Dunkeln. Die Menschen stehen Schlange für die anderthalbstündige, gut einen Kilometer lange Tour im Untergrund. 20.000 im Jahr machen mit, in der Hochsaison gibt es Wartelisten.

Gefährlich sei das nicht, sagt Tourleiter Van, „wir gucken immer schon vorher, wie sehr den Leuten die Knie schlackern, dann machen wir ein paar Trockenübungen, reden ihnen Mut zu, sie nicken schüchtern, und los geht's“. Und alle verschwinden im schwarzen Höhleneingang. „Schreiben Sie“, bittet Van noch, „nicht so viele Facts, es soll für alle ein Mysterium bleiben, bevor sie es machen.“ Okay, Van.

Trotz aller Activities: Die BesucherInnen Neuseelands schätzen vornehmlich die einmaligen Naturschätze und wähnen sich im Paradies. Dabei sind die heutigen Wälder nur die Überbleibsel, die im vergangenen Jahrhundert nicht durch Kahlschlag und Brandrodung für exzessive Schafzucht und Landwirtschaft rücksichtslos niedergemacht wurden.

Und so bietet nicht nur die aparte Tourismus-Kombination Naturerlebnis und Action total augenfällig einen der vielen Widersprüche dieses Landes, sondern auch die Natur selbst. Wer die ortsfremden riesigen Fichtenwälder der emsigen Holzindustrie sieht, die hemmungslose landwirtschaftliche Monokultur auf der Nordinsel und die weit verbreitete Erosion wahrnimmt, wer die Ohren aufmacht und von den aktuellen Rodungen (etwa für Goldminen) hört, ahnt schnell um die Sünden an der Ökologie. Und naturbelassen sind weder die Kiwifrüchte noch andere landwirtschaftliche Produkte: In Neuseelands Agrobusiness wird genauso exzessiv gespritzt wie sonstwo (manche sagen: noch deutlich mehr), und bis in die achtziger Jahre hinein war gar DDT zur Schädlingsbekämpfung erlaubt.

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