„Natürlicher“ Tod bei der Bundeswehr

Vermutlich starb der 20jährige Soldat Frank Feldmann 1986 an den Folgen einer CS-Gas-Übung – doch das Verteidigungsministerium ist an einer Aufklärung des Falls nicht interessiert  ■ Von Heike Zafar

Die Ermittlungen sind eingestellt: Der zwanzigjährige Soldat Frank Feldmann stirbt nach einer CS- Gas-Übung, und den Eltern wird weisgemacht, es handele sich um einen natürlichen Tod. Das Verteidigungsministerium ist an der Aufklärung des Falls nach wie vor nicht interessiert.

Die Staatssekretärin im Bundesverteidigungsministerium, Michaela Geiger, zeigt tiefes Mitgefühl: Als „Mutter eines Sohnes kann ich Ihren Schmerz verstehen“, schreibt sie im November dieses Jahres an die Eltern des im Januar 1986 verstorbenen Frank Feldmann.

„Was sollen wir mit dem ollen Beileid?“ fragt Inge Feldmann wütend, „uns geht's doch darum, daß die endlich zugeben, was an Franks Todestag passiert ist.“ Doch mit diesen Informationen kann Michaela Geiger nicht dienen. Statt dessen teilt sie mit, daß „die zur weiteren Aufklärung der Todesumstände durch das Bundesministerium für Verteidigung durchgeführten Untersuchungen ... nunmehr abgeschlossen“ seien.

Abgeschlossen ist der Fall für Inge und Heinrich Feldmann noch lange nicht. Denn das, was sie nach langen Recherchen herausgefunden haben, steht in krassem Gegensatz zu den Behauptungen von Bundeswehr und Staatsanwaltschaft (die taz berichtete). „Angefangen hat alles“, schildert Inge Feldmann den Fall, „mit der vermasselten Obduktion.“ Frank war am 31. Januar 1986, kurz nachdem er von seinem Dienst in der Freiherr-vom-Stein-Kaserne in Coesfeld zurückgekehrt war, gestorben. „Unklare Todesursache“, hatte die Notärztin angekreuzt und damit die Obduktion einleiten wollen. Der Kriminalkommissar in Ahaus ermittelte – schließlich trug die Leiche Uniform – bei der Bundeswehr.

Die Eintragung im Obduktionsbuch wird daraufhin mit Tipex geändert. „Vermutlich natürliche Todesursache“, heißt es nun, und die Obduktion ist damit vom Tisch. Das ist nur der Anfang einer Verschleierungsaktion, die noch heute die Bundeswehr um den Todesfall betreibt.

Jahrelang wurde den ermittelnden Behörden verschwiegen, was der damalige Vorgesetzte Franks, Kompaniefeldwebel Jörg Sonder, im März 1986 bei einer bundeswehrinternen Vernehmung ins Protokoll diktierte: „Am 31. Januar war Schütze Feldmann zur Dichtigkeitsüberprüfung im ABC- Übungsraum. Ich sprach mit ihm darüber. Er hatte keine Probleme.“

Die Aussage Sonders bleibt Verschlußssache. Auch als Franks Leiche sechs Monate nach dem Tod ohne Wissen der Eltern exhumiert und obduziert wird, ist von dem Nervengift keine Rede. Daß die Obduktion keinerlei Ergebnis bringt, ist ganz im Sinne des Militärs.

Erst drei Jahre später wird den Eltern die Vernehmung Sonders anonym zugestellt. Gründe für die Geheimhaltung sehen ehemalige Stubenkollegen Franks darin, daß es sich bei der CS-Übung um „reine Schikane“ gehandelt habe. Frank habe an seinem Todestag mittags sein „ABC-Gerödel“ aus der Stube geholt und erzählt, Sonder habe ihm eine „erzieherische Maßnahme“ auferlegt.

Sollte die Gasmaskenübung tatsächlich als Strafmaßnahme nach Dienstschluß um 12 Uhr stattgefunden haben, wäre dies, so Heinz Brinkrolf, „eine grobe Verletzung der Sicherheitsbestimmungen“.

Der ehemalige ABC-Abwehrfeldwebel muß es wissen: er konnte Einsicht in die vorhandenen Dienstpläne und Unterlagen nehmen. Dabei stellte er mehrere Fehler fest: „Weder hatte der Ausführende der Dichtigkeitsüberprüfung die dafür erforderliche Berechtigung, noch war ein Truppenarzt verfügbar.“

Sonder als Kompanietruppführer hat die Dienstpläne gemacht. Er hätte wissen müssen, daß er gegen die Sicherheitsbestimmungen verstößt.“ Nicht nur das: Brinkrolf fand in den Unterlagen Belege dafür, daß es an dem fraglichen Tag zu einer eindeutigen Überdosierung des Nervengiftes CS gekommen ist. „Statt der zulässigen Höchstmenge von sechs Tabletten wurden zehn Tabletten verbraucht.“

Fakten, die die Staatsanwaltschaft bei ihren Recherchen wenig interessierten. Weder wurde Brinkrolf als Zeuge vernommen, noch wurden Dienstpläne und andere Unterlagen, die Brinkrolf ohne weiteres einsichtig waren, je überprüft.

Am 7. April 1992 wurde das Verfahren von der Staatsanwaltschaft Münster eingestellt. In der Begründung heißt es: „Ein hinreichender Tatverdacht für ein strafrechtlich relevantes Verhalten im Zusammenhang mit dem am 31. Januar 1986 eingetretenen Tod ... ist weder gegen den Beschuldigten Sonder ... oder andere mit dieser Sache befaßte Bundeswehrangehörige zu begründen.“

Die Staatsanwaltschaft konstatiert einen Mangel an Beweismaterial: „Insbesondere waren keine schriftlichen Unterlagen vorhanden, die den genauen Ablauf des 31. 01. 1986 hätten aufklären ... können“.

„Alles papperlapapp!“ sagt Bernd Loh, bis 1991 Personalfeldwebel in dem Bataillon, im Gespräch mit der taz. Er kann bezeugen, daß sämtliche Unterlagen im Vorzimmer des Kommandeurs eingesehen werden könnten – wenn man nur wollte. Alle Schriftstücke seien auch dem Verteidigungsministerium zugestellt worden. Loh: „Das Ministerium trägt nichts zur Aufklärung bei.“

Ganz im Gegenteil: Nur durch Zufall erhielten Inge und Heinrich Feldmann ein von der Bundeswehr verfaßtes, geheimgehaltenes Papier, das den offiziellen Untersuchungsbericht ergänzen sollte. Hierin wird unter anderem behauptet, Sonder habe in seiner Vernehmung eine ABC-Übung nie erwähnt – eine glatte Lüge.

Bei der Staatsanwaltschaft werden jedoch die Aussagen Jörg Sonders, der mittlerweile an Gedächtnisschwund leidet, als „nicht zu widerlegen“ gewertet.

In einer schriftlichen Stellungnahme, verfaßt am 11. September 1991 im Verteidigungs-Bezirkskommando 33 in Münster, schreibt Sonder: „Nach Einsichtnahme in die Ermittlungsakten bei der Staatsanwaltschaft Münster zweifle ich mittlerweile an, ob Frank Feldmann überhaupt an diesem Tag an einer Übung im ABC-Übungsraum teilgenommen hat.“

Diese Dreistigkeit behält er auch im Gespräch mit der taz bei: „Ich habe mit der ganzen Sache nichts am Hut ... und heute ist auch nichts mehr zu beweisen. Diese ominöse Gaskammergeschichte, sie ist ja gar nicht offiziell festgestellt.“

Zu bereuen scheint er nur seine frühere Aussage: „Hätte ich das gewußt, daß das so eine folgenschwere Aussage ist, hätte ich mir das zehmal überlegt.“