: Nato droht, Serben schießen
■ US-Republikaner wollen im Senat das Waffenembargo gegen Bosnien aufheben
Genf (taz) – Die Bereinigung der bosnischen Landkarte verläuft weiter nach Plan – und macht so eine „saubere“ Zweiteilung Bosniens immer wahrscheinlicher. Unbeeindruckt von den Beschlüssen der internationalen Londoner Bosnienkonferenz setzten die Karadžić-Serben am Wochenende ihre massiven Angriffe gegen die UNO-Schutzzonen Žepa, Goražde und Bihać fort und steigerten auch den Beschuß der bosnischen Hauptstadt Sarajevo. Neben zahlreichen Zivilisten kamen zwei französische UNO-Soldaten ums Leben. Die Blauhelme hatten einen zuvor von Karadžić „genehmigten“ Hilfskonvoi über den Berg Igman nach Sarajevo begleitet. Als Reaktion gab die Führung der UN-Friedenstruppen gestern die vorzeitige Verlegung einer britischen Einheit der Schnellen Eingreiftruppe nach Sarajevo bekannt. Vor dem Hintergrund der eskalierenden serbischen Angriffe auf Bihać unterzeichneten die Präsidenten Kroatiens und Bosniens, Franjo Tudjman und Alija Izetbegović, im Beisein ihres türkischen Amtskollegen Süleman Demirel in Split eine militärische Beistandsvereinbarung. Karadžić und sein militärischer Oberbefehlshaber, General Mladić, kündigten in verschiedenen Interviews und Erklärungen die Eroberung „aller muslimischen Enklaven bis zum Herbst“ an, falls diese nicht „vollständig entmilitarisiert“ würden. Dasselbe gelte für „ganz Sarajevo“, falls den Serben nicht am Verhandlungstisch „die Hälfte der Stadt“ überlassen werde.
Nach den kritischen und enttäuschten Reaktionen führender Politiker der Republikanischen Partei sowie der meisten US- Medien auf das Ergebnis der Londoner Konferenz wird in Washington inzwischen damit gerechnet, daß der US-Senat morgen einen von Republikaner-Chef Robert Dole mit Unterstützung demokratischer Senatoren eingebrachten Antrag zur Aufhebung des Embargos beschließen wird. Druck machte auch die Organisation Islamischer Staaten (OIC). Laut einem Beschluß ihrer Bosnien-Kontaktgruppe in Genf betrachtet die OIC das Embargo als „rechtlich ungültig“ und will sich künftig „entsprechend verhalten“.
Mit markigen Sprüchen über „entschlossene und substantielle“ Maßnahmen, die nach der Londoner Konferenz angeblich zu erwarten seien, versuchen Außenminister Warren Christopher, Pentagon-Chef Perry und andere Vertreter der Clinton-Administration noch zu verhindern, daß es bei der morgigen Senatsabstimmung zu einer Zweidrittelmehrheit kommt. Denn damit wäre das von US-Präsident Clinton angekündigte Veto gegen eine Aufhebung des Waffenembargos bedeutungslos. Vertreter des Pentagon erklärten, es sei mit Luftbombardements „ganzer Regionen“ zu rechnen. Die Abschlußerklärung von London, in der lediglich „Maßnahmen zur Abwehr weiterer serbischer Angriffe gegen Goražde“ erwähnt werden, gelte „für alle UNO- Schutzzonen“.
Tatsächlich gab es in London weder einen Konsens mit Moskau über die grundsätzliche Option auf Luftangriffe noch eine Einigung zwischen Washington, London und Paris über wesentliche Details derartiger Militäroperationen. Auch UNO-Generalsekretär Butros Ghali interpretiert die Londoner Ergebnisse anders als die westlichen Regierungen. Über die umstrittenen Details will heute in Brüssel der Rat der 16 Nato-Botschafter beraten. Andreas Zumach Seiten 8 und 10
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