Nato-Gipfel in Chicago: Hollande maschiert allein voraus
Auf dem Nato-Gipfel in Chicago soll der bis 2014 geplante Truppenabzug aus Afghanistan festgezurrt werden. Die Inbetriebnahme eines Raketenschirms in Europa ist beschlossen.
CHICAGO afp | Nach mehr als zehn Jahren Militäreinsatz in Afghanistan will die Nato auf ihrem Gipfeltreffen in Chicago die nächsten Schritte ihres Abzugs aus dem Krisenland festlegen. „Wir sind zuversichtlich, dass wir in der richtigen Spur sind“, sagte US-Präsident Barack Obama am Sonntag. Nahe des Tagungszentrums der Staats- und Regierungschefs kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten.
Die am Nato-geführten ISAF-Einsatz beteiligten Länder wollen am zweiten Gipfeltag am Montag den schrittweisen Abzug ihrer Kampftruppen bis Ende des Jahres 2014 festklopfen und über die Grundzüge eines Nachfolgeeinsatzes der Nato zur Unterstützung der afghanischen Sicherheitskräfte beraten. An den Beratungen nehmen mehr als 50 Staats- und Regierungschefs teil.
Dabei geht es auch um die Pläne der neuen französischen Regierung, ihre Kampftruppen wie im Wahlkampf versprochen bereits Ende dieses Jahres vom Hindukusch zurückzuholen. Im Anschluss sollen immer noch im Rahmen des ISAF-Einsatzes Ausbilder für die afghanischen Sicherheitskräfte im Land bleiben, wie der neue französische Präsident François Hollande in Chicago sagte.
Rückzug der französischen Kampftruppen
Darauf habe es eine „Einigung“ mit den Nato-Ländern gegeben. Im Vorfeld hatte es besonders aus Deutschland Kritik an dem verfrühten Abzug gegeben. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte in Chicago: „Wir sind gemeinsam nach Afghanistan gegangen und wir wollen gemeinsam auch aus Afghanistan wieder abziehen.“
Militärisch gilt der Rückzug der französischen Kampftruppen als verkraftbar, das politische Signal wird jedoch kritisiert. Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) warnte vor einem „Abzugswettlauf“ aus innenpolitischen Motiven. Der Kommandeur des internationalen Afghanistan-Einsatzes, John Allen, sagte, er erwarte durch einen Abzug Frankreichs „keine Verschlechterung der Sicherheitslage“ in Afghanistan.
Während sich die Staats- und Regierungschefs in einem hochgesicherten Tagungszentrum trafen, kam es davor zu Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten. Nahe des Gebäudes versammelten sich mehrere hundert Nato-Gegner, wie eine afp-Korrespondentin berichtete. Als die Demonstranten versuchten, die Polizeiabsperrung zu durchbrechen, kam es zu heftigen Rangeleien.
Raketenabwehrschild in Europa
Zuvor hatten sich mehrere tausend Menschen zu einem friedlichen Protestmarsch gegen die Nato und Kriegseinsätze versammelt. Auch Demonstrationen in den vergangenen Tagen waren weitgehend friedlich verlaufen. Vier festgenommenen Nato-Gegnern werfen die US-Behörden jedoch vor, unter anderem Anschläge mit Molotow-Cocktails etwa auf Obamas Wahlkampfzentrale geplant zu haben.
Der wichtigste Beschluss des ersten Gipfeltages war, dass die Nato ihren Raketenabwehrschirm in Europa in Betrieb nimmt. In dem Abwehrsystem werden Satelliten, Schiffe, Radaranlagen und Abfangraketen mehrerer Nato-Länder zusammengefügt, um Europa vor Mittelstreckenraketen mit einer Reichweite von bis zu 3000 Kilometern zu schützen.
In einer ersten Phase werden mit einem Raketenabwehrsystem ausgestattete US-Militärschiffe auf einer US-Marinebasis im spanischen Rota stationiert und eine Radarstation im Südosten der Türkei in Betrieb genommen. Zudem nimmt die Kommandozentrale auf dem Nato-Stützpunkt im deutschen Ramstein ihre Arbeit auf. In den kommenden Jahren wird das Abwehrsystem weiter ausgebaut, bis es gegen Ende des Jahrzehnts vollkommen einsatzfähig sein soll.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!