Nationalkult in Japan: Tokios Lehrer müssen Hymne singen
Pazifistische Lehrer, die sich aus Gewissensgründen weigern, bei Schulfeiern vor der japanischen Flagge stehend die Nationalhymne zu singen, verlieren vor Gericht.
![](https://taz.de/picture/357285/14/japan_fahnen.jpg)
Schullehrer in Tokio haben erneut eine Niederlage im Kampf gegen verordneten Patriotismus erlitten. Das Bezirksgericht von Japans Hauptstadt wies eine Klage von 172 Lehrern ab, die ihr Recht auf freie Meinungsäußerung eingeschränkt sahen. Anlass der Klage war eine viereinhalb Jahre alte Dienstanweisung der städtischen Bildungskommission. Danach müssen Lehrer auf offiziellen Schulfeiern mit ihren Schülern vor der Nationalflagge stehen und die Nationalhymne singen. Diesen Zwang lehnen viele Pädagogen ab.
"Wir werden dieses extrem ungerechte Urteil nicht akzeptieren", erklärte Klägeranwältin Nao Yukitake. "Wie können wir den Schülern Zivilcourage beibringen und zugleich einer solchen Anordnung widerspruchslos folgen?", beschrieb Lehrerin Hiroko Arai ihre Gewissensnot. "So sind wir kein glaubwürdiges Vorbild."
Die Lehrer hatten Schadensersatz verlangt, weil Verstöße gegen die Anordnung hart geahndet werden. Insgesamt wurden 410 Pädagogen abgemahnt, weil sie während der Hymne sitzen geblieben waren, nicht mitgesungen oder dazu aufgefordert hatten. 47 Lehrern wurde ein Monatsgehalt und 41 sechs Gehälter um jeweils zehn Prozent gekürzt. Die nach der Pensionierung übliche Teilzeitbeschäftigung wurde 38 verweigert. Elf wurden gar bis zu sechs Monate vom Job suspendiert. Selbst wenn nur einzelne Schüler die Hymne boykottierten, wurde dies als Versagen der Lehrer verfolgt. Sie müssen in den Ferien zur Zwangsschulung und einen Aufsatz schreiben. Das gesamte Kollegium muss in einem Akt kollektiver Bestrafung daran teilnehmen.
Die protestierenden Pädagogen sehen in der Hymne "Kimigayo" und der Flagge "Hinomaru" Symbole der militaristischen Vergangenheit Japans. Unter dem weißen Banner mit dem roten Sonnenpunkt hatten Japans Soldaten im Namen ihres Gottkaisers halb Asien erobert, Amerika angegriffen und Kriegsverbrechen begangen. Doch 1999 wurden Flagge und Hymne wieder offiziell eingesetzt. Der Kaiser, heute seiner Göttlichkeit beraubt, wird wieder besungen.
Seitdem haben Rechtskonservative Oberwasser: Junichiro Koizumi besuchte als Premier den umstrittenen Yasukuni-Kriegsopferschrein, sein Nachfolger bekämpfte die Erwähnung von Japans Kriegsverbrechen in Schulbüchern. Hinter dem Tokioter Erlass steckt der für ausländerfeindliche Sprüche bekannte Gouverneur Shintaro Ishihara.
Mit ihrer Klage wollen sich die pazifistischen Lehrer auch gegen diesen Rechtsruck wehren. An manchen Schulen ist die Stimmung so vergiftet, dass selbst das Tragen einer blauen Schleife als Friedenssymbol untersagt wird. Einige Protestler singen während der Feiern eine Parodie auf die Hymne mit, um der Form Genüge zu tun. Aus "Kimigayo" wird so "Kiss me girl". Japans Oberstes Gericht hatte 2007 die Klage eines Musiklehrers, der die Hymne auf dem Klavier spielen musste, abgewiesen. Deshalb lehnte das Bezirksgericht jetzt die Klage der 172 Lehrer ab. Sie wollen trotzdem in Berufung gehen.
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