: Nationalisten-Paranoia
■ Die absurde Diskussion um eine Compilation deutscher Bands zieht Kreise
Anfang des Jahres brachte der Schriftsteller Franz Dobler beim Münchner Trikont-Label mit Wo ist zuhause Mama? eine Zusammenstellung von Liedern deutschsprachiger „Underground“-Musiker. Dieser stilistisch höchst durchwachsene Sampler versammelte Bands wie Die Sterne, Flowerpornoes, FSK, Lassie Singers, Motion oder Bernd Begemann, deren einzige Gemeinsamkeit in der Verwendung der deutschen Sprache liegt. Einzig auf dieses Fakt reagiert nun eine Kritik, die sofort das massive Geschütz des Nationalismus-Vorwurfs auffährt. In den Zeitschriften 17 Grad und Bahamas warf der Hamburger Musikjournalist Günther Jacob Dobler vor, „deutsche Töne rehabilitiert“ zu haben, und zwar „als Ausdruck marginalisierten Widerstandes.“ Als habe Dobler derartige Diskussionen erwartet, distanziert er sein Projekt im Klappentext der CD ausdrücklich vom „Nationalismusdreck“. Damals wurde er noch von einigen dafür belächelt.
Auch in Spex, deren Redakteur Christoph Gurk absurderweise selbst eine Deutschland-Compilation unter dem Titel Sturm und Twang herausgebracht hat, ist von „unausgesetzt kryptonationalistischem Zeug“ die Rede. Dabei sagt Dobler deutlich: „Sing wie Du willst, aber erzähl mir kein' Scheiß“. Dobler auch nur eine nationalgesinnte Zeile nachzuweisen, dürfte ebenso schwer fallen, wie das Verschweigen der Tatsache, daß sämtliche beteiligte Bands stets durch ihre deutlich antinationale Gesinnung auffielen. Dies verliert jedoch laut Jacob an Gewicht, sobald ausschließlich deutschsprachige Bands sich versammeln und „Deutsch zum ethnisch aufgeladenen Genrebegriff wird“. Als erschwerend fügt Jacob noch hinzu, daß das Label Trikont ja ohnehin „seit 1982 auf dem spirituellen und ethnischen Trip“ sei. Hier irrt Jacob, Trikont hatte sich bereits 1980 aufgegliedert in das Label Trikont und einen Buchverlag, auf den Jacobs Vorwürfe zwar zutreffen, der jedoch längst pleite ist und nichts mit dem Label zu tun hatte.
Wie nun denken die beteiligten Musiker? Tillman Rossmy (Ex-Die Regierung) findet zwar einige Sampler-Beiträge „musikalisch nicht sonderlich gelungen“, die Nationalismus-Diskussion jedoch „paranoid“. Für Wiglaf Droste, der ja derzeit mit ähnlichen Vorwürfen wie nun Dobler zu kämpfen hat, belegt die Diskussion, „wie panisch, hysterisch und geradezu religiös verblendet Leute um sich schlagen, die sich dabei auch noch als grundgut und schwer links ausgeben.“ Ob dem „trostlosen Gequassel“ (Droste) noch eine spritzige Diskussion folgt, kann man heute, 20 Uhr, im Offenen Kanal überprüfen, wo das Thema ausgestritten wird.
Benjamin v. Stuckrad-Barre
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