Nationalelf und PR-Video: „R? Ist nicht einfach“
Mit einem Filmchen beweist der DFB: Die Menschenrechts-Aktion der Nationalelf diente nur dem Image. Die Debatte über WM-Boykott geht weiter.
Der DFB wollte am Freitagabend auf Twitter ganz groß rauskommen. Am Tag zuvor hatte die Nationalelf zum Auftakt der Qualifikation zur WM 2022 in Katar mit Hilfe selbst bemalter Trikots die Worte „Human Rights“ gezeigt.
Nun zog der DFB nach und veröffentlichte ein „Making of“-Video. Man sieht, wie die Spieler mit einer Tapezierrolle und weißer Farbe ihre Trikots bemalen. „Ich bin bisschen nervös“, verrät Leon Goretzka. Und aus dem Hintergrund hört man Joshua Kimmich, der später das „R“ von „Rights“ trägt: „R, das ist nicht einfach. Sind wir uns einig.“
In sozialen Medien hagelt es Kritik an dem Video: Es sei verlogen und stehe für Doppelmoral. Bundestrainer Jogi Löw wies die Kritik zurück. Keiner seiner Spieler habe sich „vor einen Karren spannen lassen“, sagte er vor dem Spiel gegen Rumänien am Sonntagabend.
Am Donnerstagabend, vor dem 3:0-Sieg der Nationalelf über Island, war die „Human Rights“-Aktion noch als eigenständige Maßnahme der Mannschaft verkauft worden. Goretzka sagte: „Wir haben natürlich auch die WM vor uns, da wird immer darüber diskutiert.“ Die Spieler wollten „ganz klar sagen, was für Bedingungen da herrschen müssen“.
Bayern und die Kontakte nach Katar
Uli Hoeneß hatte auf RTL gelobt: „Wir wollen ja die mündigen Spieler haben.“ Er hatte sogar hinzugefügt, die Aktion sei „im Sinne des Vereins“. Sein Klub, der FC Bayern München, unterhält seit Jahren freundschaftliche Beziehungen zu dem Emirat: Die Wintertrainingslager finden dort statt, und als Sponsor tritt Qatar Airways auf. Kritik, dass damit ein Regime, das die Menschenrechte mit Füßen tritt, beworben wird, hat den deutschen Rekordmeister bislang nicht allzu sehr tangiert.
Nun aber freut sich Hoeneß über die Kritik, und auch DFB-Präsident Fritz Keller ist hochzufrieden: „Ich war begeistert, wie die Spieler ihre Trikots bemalt haben“, teilt er in einem Interview auf der Website des DFB mit. Endlich habe man wieder Spieler, „die sich engagieren und denen es nicht egal ist, was auf der Welt passiert“. Zugleich wird in Kellers Interview ausgeführt, dass die Aktion „gemeinsam mit dem DFB entwickelt und umgesetzt“ wurde. Siehe Imagevideo.
Aber Fritz Keller geht auch auf die immer lauter werdenden Forderungen ein, das Turnier in Katar zu boykottieren. Das Emirat stehe ja nur deswegen im Fokus der Kritik, weil die WM dort stattfindet. „Das ist ein mächtiger Hebel, um gemeinsam Verbesserungen zu erreichen“, sagt Keller. „Untragbare Zustände in anderen Ländern finden diese öffentliche Aufmerksamkeit nicht.“ Der DFB stehe im Austausch mit NGOs wie etwa Amnesty International.
Jüngst hatte die Katar-Expertin der Menschenrechtsorganisation, Regina Spöttl, gesagt, sie setze auf „Sichtbarmachung der Missstände und den Dialog mit allen Beteiligten“. Es gebe Reformen und Fortschritte – „und mit einem Boykott würden diese um Jahre zurückgeworfen werden“.
Menschenrechte mit Coca-Cola und adidas
Im Sinne von Keller und Spöttl äußerte sich auch Sylvia Schenk von Transparency International. „Ein Boykott bringt nie etwas“, zitiert die Frankfurter Rundschau die Antikorruptionskämpferin. Schon zu früheren Gelegenheiten hatte sich Schenk gegen einen Boykott ausgesprochen und dem Weltfußballverband Fifa attestiert, beim Thema Menschenrechte vorangekommen zu sein. Schenk sitzt zugleich seit 2017 im Menschenrechtsbeirat der Fifa – ein Gremium, in dem auch Vertreter von Adidas und Coca-Cola vertreten sind.
In einer Antwort auf Schenk kritisieren die Sprecher der Kampagne #BoykottQatar2022, die Publizisten Bernd Beyer und Dietrich Schulze-Marmeling, Schenk rutsche in eine „Beschönigung der Verhältnisse in Katar und in eine Relativierung der Bedeutung von Menschenrechten“ ab. Schenk hatte etwa an der vielfach zitierten Recherche des englischen Guardian, in Katar seien bislang 6.500 Arbeitsmigranten zu Tode gekommen, kritisiert, es fehlten Hintergründe, die Zahl habe sich zu einem „medialen Stille-Post-Spiel“ entwickelt.
Beyer und Schulze-Marmeling antworten, dass der Guardian ja noch nicht einmal alle Statistiken auswerten konnte, die Zahl vermutlich höher sei. „Noch wichtiger: Dass sich die Diskussion aktuell auf die WM-Baustellen fokussiert, wo lediglich 2 Prozent der Arbeitsmigrant*innen beschäftigt sind, ist von der Fifa durchaus gewollt.“
In diesem für die katarische Wirtschaft relativ kleinen Segment ließen sich vielleicht Verbesserungen der Menschen- und Arbeitsrechte erreichen – was nach jüngsten Berichten von Menschenrechtsgruppen allerdings fragwürdig sei –, aber insgesamt könne Katar so sein hochgradig ausbeuterisches Regime beibehalten. Zudem seien die wichtigsten Arbeiten in den WM-Stadien bereits abgeschlossen. „Für die Fifa dürfte die Angelegenheit damit erledigt sein.“
Peitschenhiebe gegen Homosexualität
Kritiker vermuten indes, dass es gerade die Boykottforderung ist, die dafür gesorgt hat, dass sich von Fifa über DFB bis Uli Hoeneß mittlerweile ganz viele um die Menschenrechte in Katar sorgen. Als die Fifa im Dezember 2008 die WM an das Emirat vergab, dominierte vor allem Kritik an den klimatischen Bedingungen und dem Umstand, dass Katar keine Fußballtradition besitze.
Auf Hinweise, dass dort etwa Homosexualität streng bestraft wird – 1996 wurde ein US-Bürger zu 90 Peitschenhieben und sechs Monaten Haft verurteilt –, hatte die Fifa damals durch ihren Präsidenten Sepp Blatter mitteilen lassen, Schwule und Lesben sollten halt während der Dauer der WM keinen Sex haben.
DFB-Präsident Fritz Keller sagt heute zur damaligen Vergabe: „Ich hätte mir gewünscht, konkrete Verbesserungen einzufordern und dann erst nach Umsetzung eine Weltmeisterschaft in ein Land wie Katar, wo sich noch so viel ändern muss, zu vergeben.“
Die Initiative #BoykottQatar2022 hält dagegen: „Dass Norwegens Nationalmannschaft und die DFB-Elf ihre WM-Qualifikationsspiele für ein Bekenntnis zu den Menschenrechten nutzen, war sicherlich kein Zufall, sondern auch der Boykott-Debatte der letzten Wochen geschuldet.“ Zu diesem Hintergrund erfährt man leider in dem „Making of“-Video des DFB nichts.
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