Nationalbankchef soll gehen: Wütende Isländer stürmen Zentralbank
Protest gegen den Bankencrash: Hunderte Demonstranten fordern in Island den Rücktritt von Notenbankchef David Oddsson. Auch gegen die Regierung wird Druck gemacht.
STOCKHOLM taz Die Wut der IsländerInnen auf Regierung und Banker wächst, die Formen des Protests werden rabiater. Am Montag entwickelte sich die Feier zum 90. Jahrestag der Autonomie Islands zur Protestmanifestation. Mehrere hundert DemonstrantInnen drangen in das Foyer der isländischen Zentralbank ein und forderten mit "Raus mit David!", "Dem Volk die Macht!" den Rücktritt des Nationalbankchefs David Oddsson.
Oddsson, der frühere Ministerpräsident, hat ebenso wie der jetzige Regierungschef Geir Haarde bislang alle Forderungen nach einem Rücktritt abgelehnt. Ihre Begründung: Sie seien nicht verantwortlich für den Crash der mittlerweile verstaatlichten isländischen Banken, die dem Land einen milliardenschweren Schuldenberg hinterlassen haben. Die Demonstranten sehen das anders: "Die Regierung hat Roulette gespielt, und nun sollen wir alle dafür bezahlen", erklärte der Schriftsteller Einar Már Gudmundsson: "Sie hat abgewirtschaftet, wir wollen Neuwahlen."
Neuwahlen und einen Rücktritt von Regierung und Notenbankchef sind auch die Forderungen auf den schon seit acht Wochen stattfindenden Samstagsdemonstrationen. Bislang konnte sich die Regierung, eine große Koalition aus Konservativen und Sozialdemokraten, angesichts einer schwachen parlamentarischen Opposition sicher fühlen. Diese war vergangene Woche mit dem Versuch eines Misstrauensvotums gescheitert. Doch hatten sich am Montag erstmals Gewerkschaften gemeldet und ihre Mitglieder aufgefordert, blauzumachen und zu demonstrieren.
Der öffentliche Druck auf die Regierung, die laut Umfragen nur noch das Vertrauen von 30 Prozent der Bevölkerung genießt, dürfte wachsen. Zumal langsam die Folgen des Bankencrashs auf die Wirtschaft des Landes deutlicher werden. Obwohl tausende ausländische Arbeitskräfte mittlerweile das Land verlassen haben, wird für Januar ein Anstieg der Arbeitslosenrate von 1 auf 7 Prozent erwartet. Die Inflationsrate stieg wegen der schwachen einheimischen Währung im November auf 17,1 Prozent. Die Hälfte der 18- bis 24-Jährigen trägt sich mit Auswanderungsgedanken. Die Tilgung der Kredite des Internationalen Währungsfonds und skandinavischer Länder wird den Staatshaushalt auf Jahre belasten. Die Folge könnte eine Zerschlagung des relativ großzügigen Sozialsystems sein. Eine zehnprozentige Kürzung des Budgets fürs Gesundheitswesen wurde bereits angekündigt.
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