piwik no script img

Nasse junge Männer mit Seetang im Haar  ■   Von Ralf Sotscheck

Die Nazis waren offenbar nicht sehr wählerisch, was ihre Auslandsspione anging. Zwei in Berlin lebende Iren, die 1943 als Spitzel in ihre Heimat zurückgeschickt wurden, entpuppten sich jedenfalls als Knalltüten. Das geht aus britischen Geheimakten hervor, die jetzt freigegeben worden sind.

John O'Reilly und John Kenny arbeiteten für das deutsche Propagandaministerium, bevor ihre kurze Spionagekarriere begann. Kenny, ein IRA-Sympathisant, sollte unter den Hafenarbeitern in Liverpool Leute rekrutieren, die bereit waren, britische Schiffe in die Luft zu jagen. O'Reilly sollte Flugplätze und Munitionsfabriken in Nordirland ausfindig machen. Beide sprangen mit Fallschirmen über der Grafschaft Clare im neutralen Irland ab.

Sie kamen nicht weit. Kenny konnte sich nach der Landung nicht aus seinem Fallschirm befreien. Als es dem verletzten Möchtegern-Spion endlich gelang, die Leinen zu kappen, wurde er von einem Passanten festgenommen und der Polizei übergeben. O'Reilly hatte zunächst mehr Glück. Er landete in der Nähe seines Elternhauses in Kilkee. Als er dort eintraf, lieferte ihn sein Vater an die Behörden aus. Darin hatte er Erfahrung: 1916, während des Ersten Weltkrieges, hatte er den aus Berlin angereisten Rebellenführer Roger Casement verhaftet, kaum dass er in Irland gelandet war. In beiden Fällen kassierte der alte O'Reilly eine Belohnung. Das Kopfgeld für seinen Sohn händigte er diesem aber aus, als er 1945 freigelassen wurde. John O'Reilly kaufte sich davon das Hotel Esplanade in Dublin.

Für die britische Spionageabwehr war die Tölpelhaftigkeit der beiden Spione ein Glücksfall, denn sonst hätte man sie wohl kaum geschnappt. Der Geheimdienst MI 5 hatte 1940 ein Merkblatt an die Polizei verteilt, in dem erklärt wurde, woran der typische deutsche Spion zu erkennen sei: „Er ist wahrscheinlich ein junger Mann“, hieß es darin, „denn Fallschirmspringen ist ein Job für einen jungen Mann.“ Besonders verdächtig waren nasse junge Männer mit Seetang im Haar, denn sie waren vermutlich mit dem Fallschirm ins Meer gefallen.

„Der Spion trägt höchstwahrscheinlich Zivilkleidung, wenn auch schlecht geschnitten“, vermuteten die Geheimdienstler. Ach, keine Nazi-Uniform? „Es ist möglich, dass er einen Overall trägt, falls er ihn nach dem Absprung noch nicht ausgezogen hat“, hoffte der MI 5 auf Agenten-Nachlässigkeit. Ein klarer Fall von Spion war ein Besitzer ausländischer Schokolade oder Streichhölzer. Bei Menschen, die einen Funksender unter dem Arm trugen, musste damit gerechnet werden, dass sie das Gerät zur Übermittlung von Nachrichten an den Feind benutzen würden. Wenn dieser Mensch dann auch noch größere Summen Bargeld, Brandy und weiße Pillen bei sich hatte, war er überführt. Bargeld ist einleuchtend, aber Brandy und Pillen? Glaubte der Geheimdienst, dass sich die deutschen Agenten betranken und dann Aspirin nahmen? Ein Wunder, dass die Briten überhaupt irgendwelche Agenten enttarnt haben.

Dabei ist ein Spion leicht auszutricksen: „Wo bist du? Wohin gehst du? Wo kommst du her?“ Das seien die Fragen, so stand in dem Merkblatt, die der Spion am meisten fürchtet.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen