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Narziß und Glühbirne

■ »Warten« — Autoren lasen im Kyril

Abseits jeder Kultur des Warentauschs« sei 'Warten — das Magazin‘ angesiedelt. Was immer das auch heißen mag. Die wie ein sehr aufwendiger Kunstkatalog gestaltete Zeitschrift, in der es um die Inhalte durchaus verkaufsträchtiger Worthülsen — wie »Cyberpunk« (die einschlägigen Bestseller dazu sind teilweise im westlichen Ramschverlag Heyne erschienen), »Elektronik«, »Sex«, »Drogen«, »Simulation«, »Dichtung« und ähnliches — geht, kostet dreißig Mark.

Die Zeitung war zwar schon 1988 fertig, doch erst zwei Jahre später fand Rudolf Stoert zu Sascha Andersen, der »zufällig« gerade genug Geld übrig hatte, um 2.000 Exemplare zu drucken. Die vormals nomadisierenden Macher und Schreiber sind nun also bei GALREV beheimatet. Am Freitag im »Kyril«, der sympathischen Kneipe des Druckhauses, stellten »Redakteur« Rudi Stoert, Kurt Leim und Harry Hass nicht so sehr die Zeitschrift vor, als daß sie so lange Eigenlyrik lasen, bis daß der geheimnisumwitterte Narva- Forscher Helmut Höge zu den Tatsachen schritt.

Wartend, das herrschende Sinnleergefühl in diffus aufgeladene Adjektivkanonaden pressend, wie tausend selbsternannt subversive Männer-Undergroundgenerationen vor ihnen, gab sich die geschichts- und fast formlos delirierende Wortflut der Dichter, als sehnte man sich danach, doch endlich einmal ins echte Leben hineingeboren zu werden. Keine Frau im Text konnte helfen, keine durchgearbeitete Form, kein Rhythmus, lenkte vom romantischen Sammelsurium düsterer Befindlichkeiten ab, das Rudi Stoert nuschelnd zum besten gab. Keine Realität galt es mit den Zuhörern zu teilen, statt dessen »heißer Gestank«, »Pisse«, »Scheiße, hoffnungslos«. Angeberische »Jünger der Geschwindigkeit« schlendern durch Nacht oder Universität; »bedeutungsleere Wirklichkeiten sickern vorbei«. Authentizitätsversessen fehlte jede Ironie, die durch den Text grinsend noch irgendwas gerettet hätte. Eigentliche Einsamkeitsgefühle, die in der aufregenden Nacht, Speed oder Alkohol im Kopf, verliebt oder verzweifelt romantisch sein mögen, erfroren als Wörter dort draußen im Raum des »Kyril«. Das »Er« in der Lyrik, das immer dazu dient, heldenhaft das eigene »Ich« zu verteidigen, erheiterte nur das formverwöhnte Ost-Publikum.

Abgelöst wurde Rudi von Kurt Leim, »Ohne Helm und ohne Gurt« zwar, doch mit einem schwarzen Koffer, in dem all das verstaut war, was ein junger Mann so zum Leben braucht. Das fickt dir das Gehirn raus, nannte er seine Geschichte, die früher noch den Titel Kam wieder ein Arschloch trug. Fröhlich zerplatzten hier Eiterbeulen im Splatteruniversum, Blut spritzte usw., doch der Dichter nahm sich und seine ausgedachte Geschichte, die als Film vielleicht prima gewesen wäre, nicht ganz so furchtbar ernst wie sein Vorgänger und wird's nächstes Mal dann eben besser machen oder sich wieder der Horrorfilmforschung zuwenden. Ein Satz der Geschichte, die eher mürrischen Unmut im Kneipenraum heraufbeschwor, war allerdings schön und verdient, hervorgehoben zu werden: »Günter huschte durch das Chaos.«

Rudi Stoert wies vorsorglich darauf hin, daß die vorgetragenen Texte nicht im 'Magazin‘ abgedruckt seien, dann entzündete auch schon Harry Hass, der seine Nächte meist hinter dem Tresen der Schöneberger Szenekneipe »Ex und Pop« verbringt, zwei Fackeln vorm Lesepult. Kein Dialog, keine Tatsachen auch hier; statt dessen Adjektiv-Orgien, wenig Zusammenhänge, Aneinanderreihungen falscher, aber doch schmerzlicher Unmittelbarkeiten, in »39 Einstellungen« Wünsche, die aus frühen Parteiprogrammen der Grünen abgeschrieben sein könnten. »Weiße Ponys« galoppierten »auf einsamen Landstraßen«, dann »begann der Wahn/ war schon immer so«, und irgendwann begann ein Zuschauer, gehässig kommentierend zu singen: »Sag mir, wo die Blumen sind«. Was der Text nicht hergab, besorgte seine Präsentation — kaum einer kann wie Harry Hass so überaus überzeugend schleppend sprechen, schlurfen, brüllen ab und an, betrunken mit den Worten rollen, überzeugend darum kämpfen, Körper und Seele aus dem falschen Leben mit falschen Worten herauszuretten. »Ihr wißt schon, was ich meine.« Und irgendwie wußte man. Begeistert wurde der Dichter gefeiert, und die zunächst eher nörgelnde Ablehnung eines betrunkenen alten Herrn — »Soll 'ne Pulle Milch trinken« oder »So was Komisches hab' ich noch nie erlebt« — wechselte zu anerkennender Zustimmung: »Für mich war das ein wunderbares Erlebnis!«

Der frei gehaltene Narva-Diavortrag von Helmut Höge, der nach soviel Herz, Gefühl und einsamen Männern endlich mit Fakten und Namen den Abend beschließen sollte, ging leider dann im freundlichen Dazwischenlallen des Alten unter. Nur so viel war zu erahnen, daß die periodisch in der Berlin-Kultur erscheinenden Narva-Berichte der Forschergruppe nur einen Bruchteil des Materials enthalten, das bislang gesammelt wurde. 350 Glühbirnendias, allein 50 Cartoons des von Glühbirnwahnideen geplagten 'FAZ‘-Karikaturisten Ivan Staiger bewiesen, daß die moderne Welt interessant ist; 350 Glühbirnen verlangen nach Aufklärung und vertreiben das Dunkel erlösungssüchtig narzißtischer Dichter. Detlef Kuhlbrodt

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