Narziss mit Goldmund

Zwischen Boheme und Instyle: Philipp Tinglers „Juwelen des Schicksals“

Philipp Tingler verfügt über Attribute, die ihn für sich und seine Umwelt attraktiv machen. Er sieht gut aus, lässt sich noch besser aussehend fotografieren und kann behaupten, sein Großvater hätte Klaus Kinski eine gescheuert. Tinglers Großvater, so erfahren wir in dem zweiten Prosaband des 35-Jährigen, hat als Doktor der Medizin die Kinski-Tochter Nastassia zur Welt gebracht. Der rasende werdende Vater musste durch eine Ohrfeige zur Räson gebracht werden. Tingler kann durch den Umstand, neun Jahre nach der schönen Kinski vom selben Geburtshelfer die Nabelschnur durchtrennt bekommen zu haben, einen Bauchnabel von der Güteklasse „Nastassia“ zur zusätzlichen Ästhetisierung seines Körpers anführen.

Doch Tingler ist nicht nur Körper. Tingler ist auch Geist. Auch dieser ist über das Durchschnittsmaß hinaus ausgestattet. Statt dem Publikum ein Erinnerungsleben zwischen Neue Vahr Süd und Aufbaugymnasium zur Identifikation anzubieten, führt der in Zürich lebende Berliner es hinein in seine bereits in diversen Zeitungen und Zeitschriften veröffentlichten „Juwelen des Schicksals“. Eine Welt aus Lunch-Kultur und Begabtenförderung, aus Schweiß verklebten Tattoos und moralischem Über-Ich. Philipp Tinglers literarische Juwelensammlung ist ein narzisstischer Reigen von Alltagserlebnissen, die mit dem Leben durchschnittlich attraktiver, durchschnittlich gebildeter und im gleichen Maße erlebender Landsleute wenig zu tun hat. Philipp Tingler nimmt seine Leser mit in seinen Kosmos aus Fotoshootings und Schwulenbars, aus Fleischertheken und Selbstbräunern. Das allein wäre kaum interessanter als eine Folge von „24 Stunden“ auf Sat.1. Doch das Multitalent kann auch noch unterhaltsam erzählen. Selbst wenn seine Reflexionen selten weiter reichen als bis auf den Boden eines Cremetiegels, so ist der Weg bis dahin durchaus unterhaltend.

In „Spinne mit Hut“ etwa lästert er über die Autorenfotos seiner weniger fotogenen Schreibkollegen wie Martin Walser oder Amelie Fried. Wer „Braun in Zürich“ liest, erhält eine fundierte Einführung in die Möglichkeiten und Grenzen der tönenden Kosmetik. Dabei gelingen Tingler so hübsche Sätze wie „Die zweifelhafte Welt der Amelie besteht aus einem zartrosa Knöpfjäckchen, Verständnis im Blick, gemessenem Lächeln und einer Frisur, die aussieht , als wäre sie in den Luftwirbel einer startenden Boeing geraten.“ Oder: „Wenn Gott jemals Sex hätte, würde er dabei den Namen von Herrn Hess brüllen“. Tingler, der sich über anerkennende Rezensionen in der Vogue und der taz zu seinem ersten Band so sehr gefreut hat, dass er sie in seinem zweiten nicht unerwähnt lässt, beherrscht, was zu jeder Zeit gern gelesen wird: die kluge und unterhaltsame, aber kurzweilige Beschreibung eines mitunter den Glamour streifenden Kosmos. Eine für die meisten Menschen unzugängliche Sphäre zwischen Boheme und Instyle.

Während die Lektüre der „Juwelen des Schicksals“ von einem ähnlichen Gefühl der Vorhersehbarkeit begleitet wird wie das Durchblättern einer Frauenzeitschrift, bekommt der Leser eine Erkenntnis geschenkt: Es gibt etwas, das in dieser Welt noch anstrengender ist, als Frau zu sein: ein attraktiver schwuler Mann. SILKE BURMESTER

Philipp Tingler: „Juwelen des Schicksals“. Kein & Aber, Zürich 2005, 320 Seiten, 19,90 Euro